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Fäden und Linien desselben scheinen mir in diesem Lebensgewebe besonders klar und offen am Tag zu liegen. Da war von Anfang an alles darauf angelegt, diesem Menschenkind und Menschenleben einen vollen Anteil zu sichern an der Verheißung: »Vos, qui reliquistis omnia et secuti estis me, centuplum accipietis et vitam aeternam possidebitis« (Ihr, die ihr alles verlassen habt und mir nachgefolgt seid, hundertfach werdet ihr es wieder erhalten und das ewige Leben besitzen) aus dem Offizium der heiligen Apostel zu den Laudes, vgl. Matth. 19, 29.

Darum erging schon in früher Jugend an ihn der Ruf: »Veni, sequere me« (Komm und folge mir nach) Matth. 19, 21. Er vernimmt ihn, verläßt die Welt und pocht an die Pforte dieses Klosters. Damals sehen wir ihn zum erstenmal als jungen Mönch, ein Bild schlichter Bescheidenheit, tiefsten Ernstes und sonniger Fröhlichkeit.

Aber dieser Blütenfrühling monastischen Lebens sollte nicht lange dauern. Ein zweites »Veni, sequere me« machte ihm ein Ende, diesmal nicht ein sanfter Lockruf, sondern mehr ein harter Befehl. Nachdem er einige Jahre Prior gewesen, wurde er an Immaculata 1893 zum ersten Abt des Klosters Maria-Laach geweiht. Gewiß ein Aufstieg zu hoher Würde, aber zuvor doch ein recht schmerzliches Verlassen und Entsagen. Vorbei die sorglose Jugendzeit, das stille Studium in einsamer Zelle, das ruhige Fortwandern auf den sicheren Pfaden des Gehorsams. Für das Verlassen allerdings hundertfacher Ersatz, hundertfache Vermehrung der Pflichten, Arbeiten und Aufgaben; die Sorge für alle andern, für ein großes Geweinwesen, die Sorge für das Brot auf dem Tisch und für die höchsten Bedürfnisse von Seelen, die nach Vollkommenheit ringen; die Sorgenlast des Regierens und Befehlens.

Im Verlassen der früheren Annehmlichkeiten, wie im Erfassen der neuen Aufgaben bewährte sich Abt Willibrord. Er legte ein solides Fundament in Maria-Laach und war wirklich der »pater familias« einer glücklichen Klostergemeinde. Da tönt auch in dieses schöne Familienleben herein scharf und schneidend der Ruf: »Veni, sequere me«.

Empfohlene Zitierweise:
Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_229.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)