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erhielten wir die Jurisdiktion für den Beichtstuhl bis zum Widerruf. Zur Verwendung kam die so erworbene Fakultät zunächst bei den Beichten von Schulkindern und Zöglingen höherer Lehranstalten.

Was wir in Prag nicht wenig vermißten, das war die Einsamkeit und die Naturschönheit des Tiroler Landes. Wir waren in der großen Stadt wohl in einer gewissen Abgeschlossenheit infolge der günstigen Lage des Klosters auf einem Hügel über der Moldau; aber die erfrischenden Spaziergänge in der freien Natur waren fast unmöglich gemacht. Häufig pilgerten wir den nahen Vyscherad hinauf zu der ehrwürdigen Kollegiatkirche und dem Reiterstandbild des heiligen Wenzel. Auch zur interessanten Kirche des Karlshofes, einem spätgotischen Kuppelbau von mächtiger Spannung – die Kirche ist dem Andenken Kaiser Karls des Großen geweiht – lenkten wir unsere Schritte.

Der liebste Gang war indessen zu dem etwa dreiviertel Stunden entfernten St. Veit’s Dom auf dem Hradschin. Der Weg führt über die denkwürdige Karlsbrücke, die, mit Standbildern von Heiligen geschmückt, in sechzehn Steinbogen die Moldau überspannt. Von hier war im Jahre 1393 der heilige Johann von Nepomuk in den Strom gestürzt worden. Am Radetzki-Denkmal und an der mächtigen, ehedem den Jesuiten gehörigen St. Nikolauskirche vorbei steigen wir den Hradschin hinan, von dessen Höhe man eine entzückende Aussicht auf das »goldene« Prag genießt, das zu beiden Seiten des Flusses auf fünf Erhöhungen majestätisch gelagert ist. Der Hradschin selber gewährt von unten gesehen einen imposanten Anblick; mächtige Bauten krönen ihn: adelige Höfe, fürstliche Paläste und die ausgedehnten Gebäude der Hofburg; nicht mit Unrecht heißt er der »königliche«.

Der Dom liegt dicht hinter der Hofburg. Er war ein Torso geblieben. Im Jahre 1344 begonnen, ward der dreischiffige Chor mit einem Kapellenkranz in reicher Gotik vollendet. Der mächtige Turm zur Seite erhielt später eine Barockspitze. Der Ausbau des fünfschiffigen

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Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_44.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)