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Von den Jahreszeiten pflegt in Steiermark der Herbst mit seinem Farbenspiel besonders schön zu sein. Der Winter setzt verhältnismäßig spät ein. Es schneit dann wohl einige Tage ununterbrochen, aber dann ergießt die Sonne ihre Strahlen in ungetrübter Klarheit über die reine Schneedecke. Des Nachts fällt die Temperatur bis auf 20° R unter Null; –10° R ist die Durchschnittstemperatur. Nach einigen schönen Wochen setzt der Schneefall aufs neue ein; es schneit ein paar Tage in prächtigen Flocken, die senkrecht zur Erde niederfallen; darnach tritt die Sonne wieder ein in ihr Recht.

Der winterlichen Natur so recht entsprechend ist die Adventsfeier. Jeden Morgen findet ein feierliches Rorate-Amt statt. Es ist stimmungsvoll, wenn aus der mit einer dichten Schneedecke wie mit einem Hermelin behängten Kirche die hellerleuchteten Fenster in die Winternacht hinausstrahlen, und dazu die wohl hundert Zentner schwere St. Annaglocke mit ihrer gewaltigen melodischen Stimme die Adventsbotschaft von der Erlösung über die schweigende Alpenlandschaft dahinsendet. Die Pfarrei ist sehr ausgedehnt; die am weitesten entfernt sind, haben wohl eine Stunde bis zur Kirche zu gehen; aber beim Rorate-Amt fehlt niemand, der abkommen kann.

Der Winter dauert sehr lange und geht dann fast unvermittelt in den Sommer über; ein eigentliches Frühjahr gibt es kaum. Aber staunen muß man über die Triebkraft, welche die Natur nach langem Winterschlaf entwickelt. Das Versäumte ist bald nachgeholt, und die Früchte in Garten und Feld gedeihen vorzüglich.

Furchtbar sind im Sommer die Gewitter in dieser Alpengegend. Einmal schlug der Blitz ins Refektorium ein, als eben die Kommunität beim Mittagstische war. Durch den Kamin drang er in die Heizungsröhren, die unter den Sitzbänken an der Längsseite angebracht sind, und entlud sich am Küchenschalter in einer Feuerkugel mit starkem Knall. Glücklicherweise kam niemand zu Schaden.

Von den Geistlichen der Nachbarschaft war Dechant Pernhofer von Knittelfeld uns besonders zugetan; das gastliche Haus des edlen Priesters stand uns immer offen: »Quod hamus, damus«,

Empfohlene Zitierweise:
Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_53.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)