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die mächtige Helmkuppel des Turmes in das eingedrückte Dach des anstoßenden Klosterflügels gebettet, die große Masse des Mauerwerks war in den Hof gefallen, – die Kirche war ganz unbeschädigt geblieben. Als ich ankam, waren schon Arbeiter damit beschäftigt, die Schuttmassen wegzuräumen. Darunter lagen die Glocken be­graben. Wird die herrliche St. Annaglocke unversehrt geblieben sein? Das war die bange Frage, die sich uns aufdrängte. Nach stundenlanger Arbeit drang man bis zu den Glocken vor. Zum Glück waren sie durch die starken Stämme des Glockenstuhles geschützt worden und so unverletzt geblieben. Auch die St. Annaglocke war mit einer ganz unbedeutenden Beschädigung davongekommen. So konnten wir bei allem Unglück noch froh sein und Gott danken, daß er uns vor Schlimmerem bewahrt hatte.

Im Sommer desselben Jahres besuchte uns, von Rom kommend, Abt Plazidus von Maredsous. Er meinte, der noch stehende Turm sei auch nicht mehr solid. Wir wiesen eine solche Befürchtung weit von uns. Allein sie sollte nur zu begründet sein. Einige Monate später verfügte die Regierung den Abbruch des zweiten Turmes. Die Ausführung der Vorschrift, den Turm zu diesem Zwecke einzurüsten, wäre kostspielig und bei der vorgerückten Jahreszeit nicht ungefährlich gewesen. P. Ephrem wußte sich zu helfen; er brach den Turm von innen ab und erledigte sich der schwierigen Aufgabe in kurzer Zeit ohne den geringsten Unfall. Jetzt lagen beide Türme darnieder; sie mußten wieder aufgebaut werden. Aber woher die Mittel nehmen? Das war das Geheimnis der Vorsehung. Zunächst handelte es sich darum, einen Plan anfertigen zu lassen, der die Genehmigung der Regierung finden würde. Ich reiste zu diesem Zweck nach Wien, um mich mit dem berühmten Dombaumeister Freiherrn von Schmidt, ins Benehmen zu setzen. Genannter Herr, Erbauer mehrerer Kirchen und Dombaumeister des Stephansdomes, († 23. Januar 1891), bewies uns großes Wohlwollen und hat auch später die schönen Pläne entworfen, nach denen die Türme wieder aufgebaut worden sind.

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Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_59.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)