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schuf. Unter diesen Darstellungen des Leidens Christi sind wahre Meisterwerke christlicher Kunst von seltener Innigkeit und Tiefe, in klassischer Form. Als Bischof von Reiser (Rottenburg) gelegentlich eines Besuches in Beuron den Karton zur ersten Station sah, war er davon ganz entzückt und ermunterte die Künstler, so in ihrer Arbeit fortzufahren. In der Tat eine ergreifend schöne Szene! Wie glücklich hat der Künstler die lokalen Schwierigkeiten gelöst und seiner Aufgabe dienstbar gemacht! Im ersten Felde erblicken wir den heidnischen Richter, wie er die Hände wäscht zum Zeichen der Unschuld, während die Hohenpriester mit heftiger Handbewegung ihr »crucifige« rufen. Im zweiten Felde sehen wir inmitten der Häscher das Lamm Gottes, ein Bild der Sanftmut und willigsten Ergebung in den Beschluß des Ewigen Vaters: »Er ist geopfert worden, weil er selber wollte«, sagt die bezeichnende Überschrift. In dem beide Felder trennenden Tür-Tympanon führt uns der Künstler die Szene der Verspottung vor Augen, auf der einen Seite des Heilandes ein höhnender Henkersknecht, auf der anderen ein anbetender Engel.

Auch die letzte Station, die mit den gleichen räumlichen Verhältnissen zu rechnen hatte, ist einzig schön. Im mittleren Bogenfelde ruht der heilige Leichnam, von zwei Engeln, mit brennenden Lampen in den Händen, behütet. Im linken Felde die ergreifende Szene: Maria, von Johannes und zwei Frauen geleitet, verläßt das heilige Grab; rechts sitzen zwei andere Frauen in stummem Schmerze, während über ihnen der Auferstehungsengel das Kreuzeszeichen hochhält, aus dem die Strahlen der Verklärung hervorbrechen. »Sein Grab wird glorreich sein!« ruft uns die Aufschrift zu.

Es ist zu bedauern, daß infolge Erkrankung des leitenden Meisters, P. Gabriel Wüger, den Schülern bei der Ausführung mehr Freiheit gelassen werden mußte, als erwünscht gewesen wäre.

Auch für die älteren Schöpfungen der Künstler in der Kirche und im Kloster zu Beuron hatte ich jetzt tieferes Verständnis, als vor zwölf Jahren; mehr und mehr erschlossen sich mir ihre

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Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_64.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)