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nimmt ab. Frühling, Sommer, Herbst und Winter wechseln wie Tod und Leben. Du stirbst. Ich werde geboren. Wenn ich einst sterbend dahinsinke, wirst du wieder den Pilgerstab aus meinen Händen nehmen. Heilig ist das Leben. Heilig ist der Tod. Jemand ist heilig und heißt Sankt Jemand. Niemand ist heilig und heißt Sankt Niemand. Gott hält die Wage in seiner Hand: die Wage der Gerechtigkeit. Da schwebt in der einen Schale das Leben, in der andern der Tod. Sie wiegen gleich. Und also besteht nur die Welt. Und also sind nur du und ich. Ich wär nicht ohne dich. Du wärst nicht ohne mich. Leb wohl. Stirb wohl, wir begegnen uns immer wieder.“

Sankt Jemand und Sankt Niemand gaben einander die Hand zum Abschied. Der eine schritt bergauf, der andere bergab. Sie sahen sich noch mehrmals um. Endlich verschwanden sie zu gleicher Zeit: der eine hinter einem Felsen der Höhe, der andere tief im Tal. Die Sonne versank, und leise begann das Horn des Mondes im Abend zu tönen.


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Klabund: Bracke, Berlin 1925., Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Bracke_(Klabund)_273.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)