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Dass die alten Alchemisten Schwefelverbindungen der Metalle für Metalle selbst hielten, wird Niemand in Verwunderung setzen, welcher weiss, dass die heutigen Chemiker 26 Jahre lang ein Oxyd (Uranoxydul) und eine Stickstoffverbindung (Stickstofftitan) für einfache Metalle angesehen und gehalten haben.

Es giebt, sagt Geber, wie diese in seinem Sinne unzweifelhaften Thatsachen beweisen, Mittel der Erzeugung und Verwandlung der Metalle, und zwar bestehen sie aus dreierlei Medicinen. Die der ersten Ordnung sind die rohen Materialien wie sie die Natur liefert (Erze.) Die der zweiten Ordnung sind die durch chemische Processe gereinigten der ersten Ordnung; durch weitere Veredelung und Fixirung entsteht die Medicin der dritten Ordnung, dies ist das grosse Magisterium, die rothe Tinctur, das grosse Elixir, der Stein der Weisen.

In allen Metallen, so glaubte man, ist ein Princip enthalten, welches ihnen den Charakter der Metallität ertheilt, es ist der Mercur der Weisen; Bereicherung eines unedlen Metalls an dem Princip ist Veredelung desselben. Zieht man aus irgend einem Stoffe oder Metall das metallische Princip aus, steigert man seine Kraft durch Läuterung und stellt so die Quintessenz der Metallität dar, so hat man den Stein, der, auf unreife Metalle gebracht, diese in edle verwandelt. Die Wirkung des Steins der Weisen wurde von Vielen ähnlich der eines Ferments angesehen. „Verwandelt nicht die Hefe die Pflanzensäfte, das Zuckerwasser durch die Umsetzung der Bestandtheile in das verjüngende und stärkende Wasser des Lebens (aqua vitae), bewirkt es nicht die Ausscheidung aller Unreinigkeiten! Verwandelt nicht der Sauerteig das Mehl in nährendes Brod!“ (Georg Rippel. 15. Jahrhundert.)

In seiner grössten Vollkommenheit, als Universal, genügte nach Roger Baco ein Theil, um eine Million Theile, nach Raymund Lullus sogar tausend Billion Theile unedles Metall in Gold zu verwandeln. Nach Basilius Valentinus erstreckt sich seine Kraft nur auf 70 Theile, nach John Price (dem letzten Goldmacher des 18. Jahrhunderts) nur auf 30 bis 60 Theile unedles Metall.

Zur Darstellung des Steins der Weisen gehörte vor allem die rohe erste Materie, die Adamserde, jungfräuliche Erde, sie ist zwar überall verbreitet, aber ihre Auffindung an gewisse Bedingungen, welche nur der Eingeweihte kennt, geknüpft. Hat man diese, sagt Isaac Hollandus, so ist die ganze Darstellung des Steins ein Werk der Weiber, ein Spiel für Kinder. Aus der materia prima cruda oder remota erhält der Philosoph den Mercur der Weisen, verschieden von dem gemeinen Quecksilber, die Quintessenz, die Bedingung der Erzeugung aller Metalle. Zu diesem wird philosophisches Gold gesetzt und die Mischung in einem Brütofen, welcher die Gestalt eines Ei’s haben muss, längere Zeit gelassen. Man erhält jetzt einen schwarzen Körper, das Rabenhaupt, Caput Corvi, welcher nach längerem Verweilen in der Wärme sich in einen weissen verwandelt, dies ist der weisse Schwan. Bei längerem und stärkerem Feuer wird die Materie gelb und endlich glänzend roth und mit dieser ist das grosse Werk vollbracht.

Andere Beschreibungen der Bereitungsmethode des Steins der Weisen sind durch Einmischung mystischer Anschauungsweisen noch dunkler

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_029.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)