Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 032.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


gelangen. Ganz ähnlich wie heutzutage von Fürsten, Privatpersonen und Gesellschaften grosse Summen für bergmännische Unternehmungen zur Aufsuchung von Erzen, Steinkohlen oder Salzlagern verwendet werden, so geschah es im 16. und 17. Jahrhundert für die zur Entdeckung des Steins der Weisen nöthigen Arbeiten. Eine Menge Abenteurer tauchten auf, welche an den Höfen der Mächtigen das Glück versuchten als Adepten (Besitzer des Geheimnisses) zu gelten, aber es war ein gefährliches Spiel. Denn diejenigen, denen es an dem einen oder andern Hofe gelang, durch geschickt ausgeführte Metallverwandlungen sich als Adepten zu legitimiren, und welche Ehre und reichen Lohn davon trugen, scheiterten zuletzt an andern, und ihr Ende war in der Regel in einem mit Flittergold beklebten Kleide an gleichfalls vergoldete Galgen aufgehängt zu werden. Die andern, welche des Betrugs nicht überführt werden konnten, büssten in den Händen habsüchtiger Fürsten durch Gefangenschaft und Folterqualen die Ehre, Besitzer des Steins der Weisen zu sein. Das grausame Verfahren gegen diese galt als der stärkste Beweis für die Wahrheit ihrer Kunst. (Kopp.)

Baco von Verulam, Luther, Benedict Spinoza, Leibniz glaubten an den Stein der Weisen und an die Möglichkeit der Metallverwandlung, und es zeigen die Urtheilssprüche juristischer Facultäten, welche Tiefe und welchen Umfang die Ideen dieser Zeit gewonnen hatten. Die juristische Facultät zu Leipzig erklärte (1580) in ihrem Urtheil gegen David Beuther diesen für überwiesen der Kenntniss des Steines der Weisen, und im Jahre 1725 gab dieselbe Facultät ein Gutachten ab in der Sache der Gräfin Anna Sophie von Erbach gegen ihren Gemahl Graf Friedrich Karl. Die erstere hatte auf ihrem Schlosse Frankenstein einem als Wilddieb verfolgten Flüchtling Schutz gewährt, und zum Dank dieser, der ein Adept war, der Gräfin das Silbergeschirr in Gold verwandelt. Der Graf nahm die Hälfte davon in Anspruch, weil der Zuwachs des Werthes auf seinem Gebiet und in der Ehe erworben sei. Die Rechtsfacultät entschied gegen ihn, weil das streitige Object vor der Verwandlung Eigenthum der Gräfin gewesen sei, und sie durch Verwandlung das Besitzrecht nicht verlieren könne. (Kopp.)

Man ist in unserer Zeit nur zu sehr geneigt, die Ansichten der Schüler und Anhänger der arabischen Schule und der späteren Alchemisten über Metallverwandlung als eine Verirrung des menschlichen Geistes anzusehen und seltsamer Weise zu beklagen; aber der Begriff des Wandelbaren und Veränderlichen entspricht der allgemeinsten Erfahrung und geht dem des Unveränderlichen stets voraus.

Vor der Einführung der Waage und der Entwickelung der chemischen Analyse war kein wissenschaftlicher Grund vorhanden für die Meinung, dass das Eisen in einem rothen, das Kupfer in einem blauen oder grünen Steine als solche vorhanden und nicht Erzeugnisse des Processes seien, der zu ihrer Gewinnung dient. Waren aber die Metalle erzeugte (Producte) und nicht ausgeschiedene Stoffe (Educte), so waren sie auch verwandelbar; alles hing dann vom Processe ab.

Erst durch die Einführung der Daltonischen Lehre wurde in der Annahme fester, nicht weiter theilbarer Theilchen (Atome) der Begriff von chemisch einfachen Körpern in der Wissenschaft festgestellt; aber

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_032.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)