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die einfachste Erscheinung zu ermitteln, selbst in den gebildeteren Classen verloren hatte. (Siehe Anhang.)

Als Columbus zu Salamanca, dem grosse Sitze der Gelehrsamkeit, vor einem Collegium, welches aus den gelehrtesten Professoren der Astronomie, Geographie, Mathematik des Reiches und den angesehensten und weisesten Würdeträgern der Kirche bestand, seine Ansichten von der Gestalt der Erde und der Möglichkeit ihrer Umschiffung zu vertheidigen hatte, da erschien er der Mehrzahl als ein Träumer, welcher Spott, oder als ein Abenteurer, der Verachtung verdiente.

Nie aber hat eine gelehrte Disputation einen grösseren Einfluss auf die Geistesentwickelung ausgeübt, als die in dem Collegiatstifte von St. Stephan; sie war die Morgenröthe eines neuen Tages, der Vorbote des grossen Sieges der Wahrheit über den blinden Glauben der Zeit.

In diesen merkwürdigen Erörterungen verloren die mathematischen Beweise ihre Gültigkeit, wenn sie mit Stellen der Schrift oder deren Erklärungen durch die Kirchenväter zu streiten schienen. „Wie könne die Erde rund sein, da doch in den Psalmen gesagt sei, der Himmel wäre ausgespannt gleich einem Felle.“ „Wie wäre es möglich, die Erde anders als für flach zu halten, da der heilige Petrus in seinem Briefe an die Hebräer den Himmel mit einem Tabernakel oder Zelte vergleiche, welches über die Erde ausgebreitet sei.“ Hatte sich nicht Lactantius gegen die Existenz der Antipoden ausgesprochen? „Ist wohl irgend Jemand so verrückt zu glauben, es gäbe Menschen, die mit den Füssen gegen die unseren ständen, die mit in die Höhe gekehrten Beinen und herunter hängenden Köpfen zu gehen vermögen; dass eine Gegend der Welt existire, wo alle Dinge oberst zu unterst ständen; wo die Bäume mit ihren Zweigen abwärts wachsen, und wo es in die Höhe hagelt, schneit und regnet?“

Sagte nicht der heilige Augustinus, „dass die Lehre von den Antipoden mit der historischen Wurzel des christlichen Glaubens durchaus unverträglich sei; denn wer versichere, dass es bewohnte Länder an der andern Seite der Erde gebe, der nehme an, dass dort Menschen wohnten, die nicht von Adam stammten, da es für dessen Abkömmlinge unmöglich gewesen sei, über das dazwischen liegende Weltmeer zu kommen. Eine solche Meinung müsse der Bibel den Glauben entziehen, welche ausdrücklich erklärt, dass alle Menschen von einem Elternpaare abstammen.“

„Welche Anmassung sei es für einen gemeinen Mann, zu glauben, es bleibe für ihn eine so grosse Entdeckung zu machen übrig, nachdem so viele tiefe Philosophen und Erdkundige die Gestalt der Welt zum Gegenstand ihrer Untersuchung gemacht hätten, und so mancher tüchtige Seemann vor abertausend Jahren auf ihr herumgeschifft wäre.“ So sprachen die Gegner des grossen Mannes.

Zwei Jahre darauf kam Columbus aus Westindien zurück; die Erde war eng und klein, sie war eine Kugel; es gab bewohnte Länder auf der andern Seite der Halbkugel.

Aber nicht blos die Erde, auch der Himmel widersprach den Lehren der grössten Lichter der goldenen Zeit der mittelalterlichen Weisheit; denn durch Copernicus hatte die Erde aufgehört, der Mittelpunkt des Weltalls zu sein, sie war nicht blos eng und klein und eine Kugel, sie

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_041.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)