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Dass die Bestandtheile in einer chemischen Verbindung in unveränderlichen Verhältnissen zugegen sind, betrachtet man als das erste und wichtigste Verbindungsgesetz; so zwar, dass für unsere Vorstellung ein Wasser mit denselben Eigenschaften wie das gewöhnliche Wasser, aber mit einem andern Gehalte an Wasserstoff und Sauerstoff als der aufgeführte, gar nicht denkbar ist.

Die Erfahrungen, welche zu diesem Gesetze geführt haben, gehören der neueren Zeit an, woher es denn kommen mag, dass man früher, wo man sie nicht kannte, ganz unbestimmte Vorstellungen über die Beziehungen der Eigenschaften einer Verbindung zu der Quantität ihrer Bestandtheile hatte.

Wir wissen jetzt, dass die Eigenschaften einer Verbindung abhängig von bestimmten Gewichtsverhältnissen sind, und dass sie mit der Zunahme oder Abnahme eines Bestandtheiles wechseln.

Was hingegen stets als eine wichtige Entdeckung angesehen werden muss, dies ist die Erfahrung, dass die Bestandtheile einer einfachen chemischen Verbindung in andern chemischen Zusammensetzungen sich genau in dem Verhältniss, in welchem sie sich verbinden, auch vertreten. In der procentischen Zusammensetzung des Wassers, Chlorwasserstoffs, Schwefelwasserstoffs kennt man demnach das Gewichtsverhältniss, in welchem Wasserstoff, Sauerstoff, Chlor, Schwefel etc. einander vertreten.

Wenn demnach in irgend einer Sauerstoffverbindung der Sauerstoff hinweggenommen werden und Wasserstoff an dessen Stelle treten soll, so werden immer und unabänderlich 88,89 Gewichts-Theile Sauerstoff ersetzt durch 11,11 Gew.-Th. Wasserstoff. In gleicher Weise werden 2,24 Gew.-Th. Wasserstoff in einer Wasserstoffverbindung vertreten und ersetzt durch 97,76 Gew.-Th. Chlor; 94,19 Gew.-Th. Schwefel durch 5,81 Gew.-Th. Wasserstoff etc.

Die obigen durch die Analyse ermittelten Zusammensetzungen lassen sich in einer einfachen Form ausdrücken; auf

1 Gewichtstheil Wasserstoff
enthält
das Wasser die Chlorwasserstoffsäure der Kohlenwasserstoff
8 Gew.-Th. Sauerst. 35,4 Chlor 6 Kohlenstoff.

In 9 Gew.-Th. Wasser befindet sich 1 Gew.-Th. Wasserstoff; da nun dieser 1 Gew.-Th. Wasserstoff vertretbar ist durch 35,4 Gew.-Th. Chlor und 6 Gew.-Th. Kohlenstoff, so ist einleuchtend, dass diese Zahlen (8 Sauerstoff, 35,4 Chlor, 6 Kohlenstoff) gleichzeitig die Gewichte ausdrücken, in denen diese Körper sich mit einander verbinden.

In 9 Wasser befindet sich 1 Gew.-Th. Wasserstoff, welcher aus dem Wasser abscheidbar und vertretbar ist durch 35,4 Chlor; es folgt daraus, dass wenn diese Vertretung stattgefunden hat, ein Oxyd des Chlors entsteht, in welchem auf 8 Gew.-Th. Sauerstoff 35,4 Chlor enthalten sind.

1 Wasserstoff vertreten durch 35,4 Chlor
8 Sauerstoff hiezu der Sauerstoff aus 9 Wasser 8,0
9 Wasser geben 43,4 Chloroxyd.
1 Wasserstoff vertreten durch 6 Kohlenstoff
8 Sauerstoff 8 Sauerstoff
9 Wasser geben 14 Kohlenoxyd.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_060.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)