Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 062.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


ist dies ein einfaches Regel de tri-Exempel. Auf 6 Kohlenstoff befinden sich darin ¾ Wasserstoff und 6 Sauerstoff, oder in ganzen Zahlen 24 Kohlenstoff (viermal 6), 3 Wasserstoff (viermal ¾) und 24 Sauerstoff (dreimal 8).

Oder ich weiss, wie viel Kohlenstoff und Wasserstoff in der Essigsäure mit 47,06 Sauerstoff vereinigt sind, und berechne, wie viel von diesen beiden Elementen auf 8 Sauerstoff (auf eine andere der obigen unveränderlichen Zahlen) kommen. Ich erhalte, auf 8 Sauerstoff sind 1 Wasserstoff und 8 Kohlenstoff; dreimal genommen giebt dies das nämliche Verhältniss.

Die Zusammensetzung aller chemischen Verbindungen ohne Ausnahme lässt sich ganz in der nämlichen Weise durch diese festen Zahlen ausdrücken, die man eben darum Mischungsgewichte, und in Beziehung auf ihre gegenseitige Vertretung Aequivalente genannt hat, weil sie wirklich die Quantitäten ausdrücken, in denen die Körper Mischungen (besser Verbindungen) eingehen, oder in denen sie gleiche Wirkungen hervorbringen.

Um eine chemische Action auszuüben, habe ich zu irgend einem Zweck 8 Sauerstoff nöthig, und wenn ich anstatt des Sauerstoffs zu gleichem Zweck Schwefel verwenden kann und will, so brauche ich stets 16 Schwefel; diese Mischungsgewichte drücken gleiche Wirkungswerthe aus.

Die Erkenntniss des Naturgesetzes, welches in diesen festen Verbindungsverhältnissen sich ausspricht, führte die Chemiker zu einer Zeichensprache, die ihnen gestattet, die Zusammensetzung einer Verbindung, die Vertretung eines ihrer Elemente und überhaupt die Art und Weise, wie sie sich die Elemente geordnet denken, in einer ausserordentlich einfachen Form auszudrücken. Sie kamen nämlich unter einander überein, die Elemente und die Aequivalente mit den Anfangsbuchstaben ihrer lateinischen Namen zu bezeichnen, in der Art also, dass O (von Oxygenium) nicht nur den Sauerstoff, sondern nicht mehr und nicht weniger wie 8 Gewichtstheile Sauerstoff, H, 1 Gewichtstheil Wasserstoff, S, 16 Gewichtstheile Schwefel bedeutet. Man sieht leicht, zu welcher Bequemlichkeit dies führt. Dem glücklichsten Gedächtniss würde es nicht möglich sein, die procentische Zusammensetzung von einem halben Hundert Verbindungen stets gegenwärtig zu haben; aber nichts ist leichter, als sich dieser Zeichen oder Formeln zu erinnern, deren Verständniss so einfach ist. Die Zusammensetzung des Wassers (in 100 Theilen 88,89 Sauerstoff und 11,11 Wasserstoff) drückt der Chemiker durch HO aus, die doppelte Menge durch 2 HO, die dreifache durch 3 HO etc.; das Kohlenoxyd durch CO, die Kohlensäure durch CO2, die Essigsäure durch C4H3O3, die Verbindung der Essigsäure mit Wasser durch C4H3O3 + HO, den Aether durch C4H5O, den Alkohol durch C4H5O + HO.

Unter den zusammengesetzten Körpern giebt es viele Gruppen, deren einzelne Glieder ähnliche Eigenschaften oder einen gleichen chemischen Charakter zeigen, und die einander in ihren Verbindungen vertreten können. Die Eigenschaften der Gruppe, die den Namen „Säuren“ führt, sind Jedermann bekannt, weniger vielleicht, was man unter Basis oder Base versteht, womit im Allgemeinen eine Verbindung bezeichnet wird, welche die Fähigkeit hat, die sauren Eigenschaften der Säure aufzuheben, zu neutralisiren.

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_062.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)