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zweier gleichen Raumtheile Schwefel und Eisen verhält sich wie die Zahlen 1,989 und 7,75, von gleichen Raumtheilen Jod und Chlor wie die Zahlen 9,948 und 1,384. Die Gewichtsverschiedenheit zweier Körper von gleichem Rauminhalt bleibt, wie sich von selbst versteht, ganz die nämliche, wie gross oder wie klein wir ihr Volumen auch annehmen mögen; mit der Aenderung ihres Volumens vergrössern oder verkleinern sich diese Zahlen, aber immer genau in dem Verhältniss, wie sich das Volumen des einen oder andern vergrössert oder verkleinert. Die Gewichtsverschiedenheit von zwei Cubikzollen Jod und einem Cubikzoll Chlor wird ausgedrückt durch zweimal 4,948 = 9,896 und 1,380 u. s. f.

Es muss offenbar ein Grund vorhanden sein, von dem es abhängt, dass die Körper bei gleichem Rauminhalt ein ungleiches Gewicht besitzen; nach unserer Vorstellung nun über die Constitution der Körper besteht ein jeder aus einer Zusammenhäufung von gewichtigen Körpertheilchen, von denen jedes einen gewissen Raum erfüllt und eine gewisse Gestalt besitzt. Die Bekanntschaft mit isomorphen Substanzen stellt die Thatsache ausser allem Zweifel, dass ihre gegenseitige Vertretung in Verbindungen ohne Aenderung ihrer Krystallgestalt darauf beruht, dass ihre Atome einerlei Gestalt besitzen und von gleicher Grösse sind, und wenn wir sehen, dass bei der Vertretung eines Körpers durch einen andern die Krystallform der Verbindung eine andere wird, so müssen wir voraussetzen, dass diese Aenderung davon abhing, dass die Atome dieses andern Körpers eine andere Gestalt besitzen, oder nicht denselben Raum in der Verbindung ausfüllen. Alles dies zusammengenommen führt auf die Vorstellung, dass die Körpertheilchen, die wir Atome nennen, ungleich schwer oder ungleich gross sind; mit dieser Voraussetzung erklärt sich das specifische Gewicht auf eine sehr einfache Weise; warum also das Blei bei gleichem Rauminhalt mehr wiegt als Eisen, das Jod mehr als Chlor, beruht entweder darauf, weil das Atom Jod schwerer ist als das Atom Chlor, oder weil in demselben Raum sich eine grössere Anzahl von Atomen Blei, als z. B. Eisenatome befinden.

Denken wir uns in dem Raum von einem Cubikzoll eine gleiche Anzahl, sagen wir: tausend Atome Jod oder Chlor, so drücken ihre specifischen Gewichte offenbar die Gewichtsunterschiede ihrer Atome aus; wiegt der Cubikzoll Jod 4948 Gran, so muss ein Cubikzoll Chlor 1380 Gran wiegen: 1/1000 Cubikzoll Jod, worin 1 Atom Jod, würde hiernach 4,948 Gran, 1/1000 Cubikzoll Chlor, worin 1 Atom Chlor, würde 1,380 Gran wiegen.

Chlor und Jod vertreten einander in chemischen Verbindungen nach ihren Aequivalenten, das des Chlors ist 35,4, das Aequivalent des Jods 126; sie sind ferner isomorph, d. h. sie vertreten sich in ähnlichen Verbindungen, ohne Aenderung der Krystallgestalt; wenn wir uns nun denken, dass ihre Atome gleich gross sind und dieselbe Gestalt besitzen, und dass in gleichen Raumtheilen Jod und Chlor eine gleiche Anzahl von Atomen Jod und Chlor vorhanden seien, so müssen die specifischen Gewichtszahlen in demselben Verhältniss zu einander stehen, wie ihre Aequivalentenzahlen oder ihre Atomgewichte. Um in einer Verbindung 4,948 Gran Jod auszuscheiden und durch Chlor zu vertreten, würden

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_075.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)