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Seife, sie werden heutzutage nicht mehr mit Holzasche, sondern mit Soda dargestellt.

Unsere Asche fliesst als der kostbarste und nützlichste Dünger unseren Feldern und Wiesen zu.

Es ist unmöglich, alle Fäden dieses wunderbaren Gewebes der Industrie im Einzelnen zu verfolgen; allein es sollen einige der unmittelbaren weiteren Folgen der chemischen Gewerbe hier noch erwähnt werden. Es ist berührt worden, dass das Kochsalz in Glaubersalz verwandelt werden muss, ehe es zur Natronfabrikation verwendet werden kann; durch die geeignete Behandlung mit Schwefelsäure erhält man daraus Glaubersalz, und man gewinnt hierbei als Nebenproduct das anderthalbfache bis doppelte Gewicht der Schwefelsäure an rauchender Salzsäure, eine Quantität im Ganzen, die ins Ungeheure steigt.

In der ersten Zeit war die Fabrikation der Soda so gewinnreich, dass man sich gar nicht die Mühe gab, die Salzsäure aufzufangen, sie besass keinen Handelswerth; einer Menge nützlicher Anwendungen fähig, änderte sich dieses Verhältniss bald.

Die Salzsäure ist eine Chlorverbindung; aus keinem Material lässt sich reineres und wohlfeileres Chlor darstellen, wie aus Salzsäure. Die Anwendbarkeit des Chlors zum Bleichen der Zeuge war längst bekannt, aber im Grossen niemals in Ausführung gebracht worden. Man fing an, die Salzsäure in der Form von Chlor zum Bleichen der Baumwollenstoffe zu benutzen, man lernte das Chlor durch Verbindung mit Kalk in eine auf weite Strecken hin versendbare Form bringen; ein neuer, höchst einflussreicher Erwerbszweig erhob sich, und kaum möchte sich in England ohne den Bleichkalk die Fabrikation der Baumwollenzeuge auf die so ausserordentliche Höhe erhoben haben, auf der wir sie kennen; auf die Dauer hin konnte dieses Land mit Deutschland und Frankreich nicht concurriren, wäre es auf die Rasenbleiche beschränkt und angewiesen geblieben.

Zur Rasenbleiche gehört vor allen Dingen Land, und zwar gut gelegene Wiesen; jedes Stück Zeug muss in den Sommermonaten Wochen lang der Luft und dem Lichte ausgesetzt, es muss durch Arbeiter unaufhörlich feucht erhalten werden. Eine einzige nicht sehr bedeutende Bleicherei in der Nähe Glasgow’s (Walter Crums) bleicht täglich 1400 Stücke Baumwollenzeug, Sommer und Winter hindurch. Um diese colossale Anzahl von Stücken Zeug, die diese einzige Bleicherei den Fabrikanten jährlich liefert, fertig zu bringen, welches ungeheure Capital würde in der Nähe der volkreichen Stadt zum Ankauf des Grund und Bodens gehören, den man nöthig hätte, um diesem Zeug zur Unterlage zu dienen! Die Zinsen dieses Capitals würden einen sehr merklichen Einfluss auf den Preis des Stoffes haben, der in Deutschland kaum fühlbar wäre.

Mit Hülfe des Bleichkalks bleicht man die Baumwollenzeuge in wenigen Stunden mit ausserordentlich geringen Kosten, und in den Händen geschickter und intelligenter Menschen leiden die Zeuge hierdurch weit weniger als durch Rasenbleiche. Jetzt schon bleichen die Bauern im Odenwald mit Bleichkalk und finden ihren Vortheil dabei. – So dient die wohlfeile Salzsäure unter andern – wer sollte es sich denken?

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_090.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)