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Mit der galvanischen Säule als Bewegungsmittel mag es sich in einiger Zeit verhalten wie mit der Fabrikation des inländischen Zuckers und mit der des Leuchtgases aus Oel und Steinkohle.

Die Industrie hat, was den Rübenzucker betrifft, beinahe das Unmögliche geleistet; anstatt eines nach Rüben schmeckenden, schmierigen Zuckers fabricirt man jetzt die schönste Raffinade, anstatt 3 bis 4 Procent, welche Achard erhielt, producirt man jetzt das Doppelte, und dennoch wird sich diese Fabrikation auf die Dauer hin nicht halten können. Die Finanzverwaltung hat den Zucker als Mittel zur Besteuerung gewählt und es empfingen die Regierungen der Zollvereinsstaaten mittelst der im Jahre 1846 eingeführten 1,200,000 Centner Zucker zehn und eine halbe Million Gulden, welche einen Theil der Summe ausmachen, die der Staat zu seinem Haushalte bedarf. In demselben Jahre erzeugten 96 Rübenzuckerfabrikanten im Zollverein aus 4,446,469 Centner Rüben 334,320 Ctr. Rohzucker, der im Lande verbraucht worden ist; der Preis dieses Zuckers ist derselbe wie der des tropischen Zuckers. Wäre der Rübenzucker im Lande nicht erzeugt worden, so würde ein demselben gleiches Quantum Rohrzucker eingebracht und verbraucht worden sein. In diesem Fall wird der Staatshaushalt[1] die Summe von 2,400,000 Gulden (8¾ fl. per Ctr.) empfangen haben, die im Zuckerpreis an die Rübenzuckerfabrikanten bezahlt worden ist. Anstatt 13 Millionen, welche der Staat eingenommen hätte, empfing er nur 10½ Millionen; es ist klar, dass durch den Ausfall von 2½ Million Gulden die anderen Steuern um eben so viel erhöht werden mussten; die Bewohner der Zollvereinsstaaten haben demnach 2½ Million Gulden an die Rübenzuckerfabrikanten und 2½ Million Gulden in anderen Steuern an den Staat bezahlen müssen; jeder der 96 Fabrikanten hat im Mittel 25000 Gulden von den Bewohnern des Landes empfangen, ohne dass diesen irgend ein Vortheil dadurch zugewachsen ist. Das Vergnügen, auf seinem eigenen Grund und Boden gewachsenen Zucker zu essen, ist, wie man sieht, mit nicht geringen Opfern bezahlt. Wäre aller Zucker im Inlande erzeugt worden, so würde der Ausfall im Staatshaushalt 8½ Million Gulden betragen. Ob es nationalökonomisch zulässig wäre, unter diesen Umständen 17 Millionen Gulden im Zollverein als Steuer aufzubringen (8½ Million an die Rübenzuckerfabrikanten und eben so viel für den Staatshaushalt), diese Frage mag hier unerledigt bleiben.

Wenn wir uns denken, dass der Staat, um uns mit Zucker zu versorgen, ein ungeheures Gewächshaus, in welchem Zuckerrohr gezogen wird, mit einem in Gestalt von Steuern erhobenen Aufwand von 8½ Million Gulden zu unterhalten hätte, so würde man die Entdeckung einer Insel, auf welcher das Zuckerrohr wild wächst und wo es leicht und mit einem geringen Kostenaufwande cultivirt werden könnte, für das glücklichste Ereigniss halten, namentlich wenn uns diese Insel unseren Zuckerbedarf mit Ersparung des ganzen Aufwandes für das Gewächshaus

  1. Die Fabrikanten versteuerten 20 Ctr. Rüben zu 1 Rthlr., jetzt zu 2 Rthlr., nach der Annahme, dass 20 Th. Rüben 1 Th. Zucker geben, sie erhielten aber 1 Ctr. Zucker von 13 bis 14 Ctr. Rüben. (Die Steuer auf die Rüben ist inzwischen erhöht worden und es hat sich zu Gunsten der Consumenten ein besseres Verhältniss hergestellt.)
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_099.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)