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Hat die gegebene Ursache C eine ihr gleiche Wirkung E hervorgebracht, so hat damit C aufgehört zu sein, eben weil es zu E geworden ist. Da mithin C in E und dieses in e übergeht, so muss allen diesen Ursachen in Beziehung auf ihre Quantität die Eigenschaft der Unzerstörlichkeit, und hinsichtlich ihrer Qualität die Eigenschaft der Wandelbarkeit zukommen. In unzähligen Fällen sehen wir eine Bewegung aufhören, ohne dass ein Gewicht, eine Last gehoben oder ein Zug oder ein Druck hervorgebracht wird. Die Kraft, welche die Bewegung bewirkt, kann aber nicht Null werden, und es fragt sich somit, welche Form diese Kraft anzunehmen fähig ist. Die Erfahrung giebt hierüber Aufschluss. Ueberall wo durch Reibung, Schlag oder Stoss eine Bewegung vernichtet wird, tritt Wärme als Wirkung der Bewegung auf. Die Bewegung ist die Ursache der Wärme.

Zwei Metallplatten, die sich reibend berühren, erhitzen sich in dem Grade, dass sie bei einer gewissen Geschwindigkeit rothglühend werden; beim Reiben dieser Platten unter Wasser erhitzt sich das Wasser bis zum Sieden. In gleicher Weise erhitzt sich der eiserne Radschuh eines Wagens, wenn letzterer mit einer gewissen Geschwindigkeit fortbewegt wird; er wird oft so heiss, dass man ihn, ohne sich zu verbrennen, nicht berühren kann.

Beim Rundschleifen der Nähnadelspitzen wird der Stahl rothglühend, die abgeriebenen Stahltheilchen verbrennen mit Funkensprühen. Die Holzkeile, welche an die Räder der Eisenbahnwagen angepresst werden, um sie zum Stehen zu bringen, erhitzen sich häufig in dem Grade, dass die Oberfläche mit empyreumatischem Geruch verbrennt. Beim Reiben von weissem Zucker auf einem eisernen Reibeisen schmelzen abgeriebene Theile und nehmen den Geschmack von gebranntem Zucker (Caramel) an. Durch Reibung zweier Eisstücke werden sie zum Schmelzen gebracht.

In den englischen Stahlfabriken erhitzt der Schmied eine Stahlstange von 10–12 Zoll Länge an dem einen Ende bis zum Rothglühen in der Esse, bringt sie sodann unter den Maschinenhammer und schmiedet sie zu einer dünnen Stange von eben so vielen Fussen aus, ohne – was für die Erhaltung der guten Beschaffenheit des Stahls wesentlich ist – sie wieder in’s Feuer zu bringen. Jede Stelle, welche der Hammer mit seinen starken und raschen Schlägen trifft, wird an der geschlagenen Stelle rothglühend, und es scheint dem Zuschauenden die Rothglühhitze, der Stange entlang, hin und her zu laufen. Diese Rothglühhitze wird durch die Hammerschläge erzeugt, sie entspricht einer Wärmemenge, welche hinreichen würde, viele Pfunde Wasser zum Sieden zu erhitzen. Das im Feuer rothglühend gemachte Ende der Stange würde in Wasser getaucht kaum eben so viel Lothe Wasser auf die Siedetemperatur erhitzt haben.

Zwischen den Hammerschlägen (der Ursache) und der Wärme (der Wirkung) muss nach den vorangegangenen Betrachtungen ein bestimmter Zusammenhang bestehen, welchen auszumitteln die Physiker die scharfsinnigsten Versuche erdacht haben. Die erzeugte Wärme war ja nichts Anderes als die umgewandelte Arbeitskraft; war der Satz von Mayer richtig, so musste ihr ein gleicher Wirkungswerth zukommen, man musste

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_105.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)