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In gewöhnlicher Temperatur gährt die Milch ohne Gasentwickelung und es bildet sich Milchsäure, in höherer Temperatur erhält man daraus in Folge des geänderten Gährungsprocesses eine alkoholhaltige Flüssigkeit, welche bei der Destillation einen wahren Branntwein liefert.

Es ist einleuchtend, dass nur solche Substanzen gährungsfähig sind, in welchen die Elemente leicht beweglich und nur von einer schwachen Kraft zusammengehalten sind, und wenn in der That durch den Ortswechsel der Elementartheilchen des Fermentes ein Ortswechsel der sie berührenden Atome eines zweiten Körpers verursacht war, so ist es sicher, dass die Atome des letzteren der auf sie einwirkenden Bewegung einen Widerstand entgegensetzen, welcher überwunden werden muss, wenn sie sich bewegen sollen. Dieser Widerstand, auch noch so klein gedacht, wirkt wie eine Kraft, welche rückwärts einen Einfluss auf die Atome des Ferments äussern muss, wodurch der in ihnen vor sich gehende Ortswechsel geändert werden muss. Ein faulender Körper muss demnach in Berührung mit einem gährungsfähigen, den er in Gährung versetzt, andere Producte liefern, als wenn er für sich allein fault. Man bemerkt in der That, dass, wenn zu faulendem thierischen Käse, oder Blut, Zuckerwasser zugesetzt wird, mit dem Beginne der Gährung die Bildung derjenigen Producte, denen der stinkende Geruch angehört, abnimmt, so dass diese im Verlauf der Gährung völlig verschwinden. Es ist ferner verständlich, dass ein gährungsfähiger Körper aufhören muss gährungsfähig zu sein, wenn der Widerstand, den seine kleinsten Theilchen der Wirkung des Ferments entgegensetzen, erhöht, oder wenn die Kraft, welche die Elemente des Ferments zu einer Gruppe zusammenhält, verstärkt wird. Es giebt in der That eine Menge Körper, welche der Fäulniss und Gährung entgegenwirken, und den Verlauf des Processes hindern und hemmen, und ihre merkwürdige Wirkung ist sehr häufig dadurch bedingt, dass sie mit dem Ferment eine chemische Verbindung eingehen. Durch das Hinzutreten eines Körpers, welcher Verwandtschaft zu dem Ferment besitzt, wird offenbar das Beharren seiner Elementartheile in ihrer ursprünglichen Lagerung verstärkt, denn zu der Kraft, welche sie in der Gruppe zusammenhält, kommt in dem zweiten Körper, mit dem sich das Ferment verbindet, eine neue Anziehung hinzu, welche überwunden werden muss, wenn dessen Elemente ihre Lage ändern oder wechseln sollen.

Zu diesen die Fäulniss und Gährung aufhebenden oder fäulnisswidrigen Materien gehören alle Substanzen, welche auf das Ferment eine chemische Wirkung ausüben, Alkalien, Mineralsäuren, Pflanzensäuren im concentrirten Zustande, flüchtige Oele, Alkohol, Kochsalz; vor allen wirksam sind schweflige Säure, Metall-, namentlich Quecksilbersalze, welche mit den Fermenten oder faulenden Stoffen eine chemische Verbindung eingehen. Arsenige Säure hindert die Fäulniss des Blutes und die gewöhnliche Zuckergährung nicht, aber die Fäulniss der Haut und leimgebenden Gewebe wird durch ihre Gegenwart vollständig unterdrückt.

Viele organische Säuren werden in der Form von Kalksalzen gährungsfähig, welche es für sich nicht sind. Der gewöhnliche äpfelsaure Kalk gährt, mit Bierhefe versetzt, eben so leicht wie Zuckerwasser; es entwickelt sich in niedriger Temperatur reine Kohlensäure, und das äpfelsaure

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_135.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)