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während gleichzeitig durch diese Späne ein schwacher Luftstrom circulirt. Verglichen mit dem alten Verfahren, findet sich durch diese Einrichtung die der Sauerstoffaufnahme fähige Weingeist-Oberfläche ins Tausend- und Mehrfache vergrössert; die natürliche Folge ist, dass die Zeit der Verwesung desselben um das Ebensovielfache verkürzt wird. Im Anfang, wenn die sogenannten Essigbilder in Gang gesetzt werden, setzt man dem Branntwein gewöhnlich kleine Mengen solcher Stoffe zu, welche verwesbare Substanzen enthalten, wie Bierwürze, Honig, unfertigen Essig etc.; allein sehr bald geht die Holzoberfläche selbst in den Zustand der Sauerstoffaufnahme über, und vermittelt von da an den Uebergang des Branntweins in Essig, ohne weitere Mitwirkung von anderen verwesenden Materien.

Die Entstehung der Salpetersäure oder salpetersaurer Salze und ihr Vorkommen in gewissen Garten- und Ackererden, in dem Boden und in den Mauern von Viehställen oder Häusern, in dem Brunnenwasser der Städte und Dörfer beruht auf derselben Ursache, wie die Bildung der Essigsäure aus dem Alkohol geistiger Getränke: sie entsteht aus Ammoniak, einem der letzten Producte der Fäulniss thierischer oder überhaupt stickstoffhaltiger Materien.

Wenn sich Ammoniak bei Gegenwart von Kalk, Magnesia, Kali etc. und einer gewissen Menge Feuchtigkeit in Berührung befindet mit verwesenden Materien, so verbinden sich seine Elemente, Stickstoff und Wasserstoff mit dem Sauerstoff der Luft zu Wasser und Salpetersäure, welche letztere mit alkalischen Erden und Alkalien salpetersaure Salze bildet.

Die krystallinischen Salze, welche häufig aus den Mauern von Viehställen oder Wohnhäusern auswittern, namentlich an Orten, welche von Flüssigkeiten aus Latrinen befeuchtet sind, bestehen aus salpetersauren Salzen, in der Regel aus salpetersaurem Kalk, einem Salze, welches aus feuchter Luft Wasser anzieht und zerfliesst und durch dessen Vorhandensein eine bleibende Nässe in den Mauern verursacht wird.

Ein grosser Theil des in Frankreich zur Pulverfabrikation dienenden Salpeters wird in Paris aus dem unteren Theil der Pariser Häuser, der mit den Flüssigkeiten der Strasse in beständiger Berührung ist, aus den darin sich bildenden salpetersauren Salzen gewonnen; indem der Kalk der Mauern allmählich von der Salpetersäure aufgelöst wird, verlieren die Mauern ihre Festigkeit und ihren Zusammenhang, daher der Name Mauerfrass für diese den Mauern so schädliche Salpeter-Bildung. In Indien, wo die Lufttemperatur höher und die Luft feucht ist, verwesen thierische Substanzen besonders schnell, und es erzeugt sich dort, indem weniger Ammoniak der langsamen Verbrennung entgeht, eine im Verhältniss weit grössere Menge von salpetersauren Salzen.

Die Anwendung der Kenntniss des Verhaltens verwesender Materien auf die Bier- und Weinfabrikation liegt ganz nahe. Die Eigenschaft des Bieres oder Weines, bei Berührung mit der Luft in Essig überzugehen, beruht stets auf der Gegenwart fremder Substanzen, deren Fähigkeit Sauerstoff anzunehmen, sich den Weingeisttheilchen, mit denen sie in Berührung sind, überträgt; mit ihrer Entfernung geht dem Wein und Bier das Vermögen, sauer zu werden, gänzlich ab.

In dem Safte zuckerarmer Weintrauben bleiben nach vollendeter Gährung, nach dem Zerfallen des Zuckers in Kohlensäure und Weingeist

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_150.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)