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Fäces (als phosphorsaures Bittererde–Ammoniak) wahrgenommen wird, so scheint es unmöglich, über die Entstehung und Fortpflanzung einer Menge contagiöser Krankheiten irgend einen Zweifel hegen zu können.

Es ist zuletzt eine allgemeine Erfahrung, dass sich „der Ursprung epidemischer Krankheiten häufig von Fäulniss grosser Mengen thierischer und pflanzlicher Stoffe herleiten lässt, dass miasmatische Krankheiten da epidemisch sind, wo beständig Zersetzung organischer Wesen stattfindet, in sumpfigen und feuchten Gegenden, sie entwickeln sich epidemisch unter denselben Umständen nach Ueberschwemmungen; ferner an Orten, wo eine grosse Menschenzahl bei geringem Luftwechsel zusammengedrängt ist, auf Schiffen, in Kerkern und belagerten Orten“. (Henle Untersuchungen S. 52, ferner S. 57.) Niemals aber kann man mit solcher Sicherheit die Entstehung epidemischer Krankheiten voraussagen, als wenn eine sumpfige Fläche durch anhaltende Hitze ausgetrocknet worden ist, wenn auf ausgebreitete Ueberschwemmung starke Hitze folgt. (s. Anhang Nr. 5.)

Hiernach ist nach den Regeln der Naturforschung der Schluss vollkommen gerechtfertigt, dass in allen Fällen, wo ein Fäulnissprocess der Entstehung einer Krankheit vorausgeht, oder wo durch feste, flüssige oder luftförmige Krankheitsproducte die Krankheit fortgepflanzt werden kann, und wo keine näher liegende Ursache der Krankheit ermittelbar ist, dass die im Zustande der Umsetzung begriffenen Stoffe oder Materien in Folge ihres Zustandes als die nächsten Ursachen der Krankheit angesehen werden müssen.

Den unterrichteten und aufmerksamen Aerzten ist es längst bekannt, dass der Unterschied von guter gesunder Nahrung und von schlechter, welche letztere als die Ursache von vielen Krankheiten angesehen wird, nicht auf der Natur des Nahrungsmittels, sondern auf einer gewissen Beschaffenheit oder einem gewissen Zustande desselben beruht, der beim Fleische z. B. häufig auf einen Krankheitszustand des Thieres, von dem es genommen ist, zurückgeführt werden kann; dass die nützlichen und wohlthätigen Wirkungen, welche eine zweckmässige Ventilation auf die Erhaltung des Gesundheitszustandes äussert, z. B. in Krankenzimmern durch Verdampfung sehr geringer Mengen Salpetersäure (nicht Chlor, welches in den meisten Fällen schädlich wirkt), oder an gewissen Orten durch Verbrennung von etwas Schwefel erzielt werden können, durch Materien also, von denen man weiss, dass sie schädliche Gase zerstören oder ihren Zustand der Umsetzung vernichten.



Einundzwanzigster Brief.


Ueber die Ursachen der so merkwürdigen Erscheinungen, welche nach dem Tode der Pflanzen und Thiere sich einstellen, und die ihre Auflösung in unorganische Verbindungen, ihr Verschwinden von der Erdoberfläche bewirken, haben sich einige Naturforscher und namentlich

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_158.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)