Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 164.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


neuen Generationen anderer mikroskopischen Wesen zur Entwickelung dienen; aber der Vorgang an sich ist und bleibt ein Verbrennungsprocess, in welchem die Elemente des ursprünglichen Körpers, ehe sie sich mit dem Sauerstoff verbanden, zu Bestandtheilen lebendiger Wesen wurden, in welchem sie also in eine Reihe intermediärer Verbindungen übergingen, ehe sie in die letzten Producte des Verwesungsprocesses zerfielen. Die Bestandtheile der Thiere, die sich im Körper mit dem Sauerstoff verbinden, gehören aber dem lebendigen Leibe nicht mehr an. Während der eigentlichen Fäulniss, der Zersetzung also der Thiersubstanzen, welche bei Abschluss des Sauerstoffs erfolgt, entwickeln sich Gase (Schwefelwasserstoffgas), welche giftig wirken und dem Leben, auch der mikroskopischen Thiere, eine rasche Grenze setzen; nie finden sich in Menschenexcrementen, während sie faulen, mikroskopische Thiere, die sich während ihrer Verwesung in Menge zeigen.

Eine weise Natureinrichtung hat die mikroskopische Thierwelt in Beziehung auf ihre Nahrung auf die todten Leiber höherer organischer Wesen angewiesen und in ihnen selbst ein Mittel geschaffen, den schädlichen Einfluss, den die Producte der Fäulniss und Verwesung auf das Leben höherer Thierclassen ausüben, auf die kürzeste Zeit zu beschränken. Die neuesten Entdeckungen, die man in dieser Beziehung gemacht hat, sind so wunderbar und ausserordentlich, dass sie gewiss verdienen, einem grösseren Kreise bekannt zu werden. Schon Rumford hatte beobachtet, dass Baumwolle, Seide, Wolle und andere organische Körper, in einem mit Wasser ganz angefüllten Gefässe dem Sonnenlichte ausgesetzt, nach drei bis vier Tagen zu einer Entwickelung von reinem Sauerstoffgas Veranlassung gaben. Mit der Erscheinung der ersten Gasblasen nimmt das Wasser eine grünliche Farbe an, und zeigt unter dem Mikroskope eine ausserordentlich grosse Anzahl kleiner rundlicher Infusorien, welche dem Wasser die Farbe geben. Von Conferven oder anderen Pflanzen, von denen die Sauerstoffentwickelung hätte herrühren können, war nicht das Geringste wahrzunehmen.

Diese vor siebenzig Jahren gemachten Beobachtungen wurden durch neuere der Vergessenheit entrissen. In den Soolkasten der Saline Rodenberg in Kurhessen bildet sich eine schleimige, durchscheinende Masse, welche den Boden einen bis zwei Zoll hoch bedeckt und überall mit grossen Luftblasen durchsetzt ist, die in Menge emporsteigen, sobald man mit einem Stocke die sie einschliessenden Häute zerreisst. Nach einer Untersuchung von Pfankuch ist dieses Gas ein so reines Sauerstoffgas, dass sich ein glimmender Holzspan darin wieder entzündete, was durch Wöhler bestätigt wurde. Des letzteren mikroskopische Untersuchung dieser Masse zeigte, dass sie fast ganz aus lebenden Infusorien, aus Navicula- und Gallionella-Arten bestand, die in der Kieselguhr von Franzensbad und den Freiberger papierartigen Gebilden vorkommen; sie gab nach dem Auswaschen und Trocknen beim Glühen Ammoniak und hinterliess eine weisse Asche, welche aus den Kieselskeleten dieser kleinen Wesen bestand, die noch so scharf die Form derselben zeigten, dass man den frischen Schleim, nur ohne Bewegung, zu betrachten glaubte. Beinahe gleichzeitig zeigten die Herren Ch. und A. Morren (in den Schriften der Akademie in Brüssel, 1841), dass sich aus Wasser unter

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_164.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)