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1 Theil Wasser) giesst und erkalten lässt, so krystallisirt das Salz und die Flüssigkeit gesteht zu einer dicken Masse von, dem Eis ähnlichen, Krystallen. Wird das nämliche Glas mit derselben warmen Lösung bis zur Hälfte angefüllt und die Oeffnung desselben mit einer Glasplatte, einem Uhrglase oder einem Kartenblatt bedeckt und dann erkalten gelassen, so setzt die übersättigte Flüssigkeit nach zehn und mehr Stunden keine Krystalle ab, selbst dann nicht, wenn das Kartenblatt oder das Uhrglas hinweggenommen werden. Taucht man jetzt einen gewöhnlichen Glasstab in die Flüssigkeit ein, so bilden sich von seiner Oberfläche aus die schönsten Spiesse und Blätter von Glaubersalzkrystallen; in wenigen Secunden ist die ganze Flüssigkeit fest. Die Flüssigkeit ist in einem Glasgefässe enthalten, aber mit diesem Glas in Berührung krystallisirt sie nicht; ein anderes Stück Glas, was nicht mit derselben erkaltete, bringt aber sogleich Krystallisation hervor. Diese Erscheinung ist merkwürdig genug, aber viel auffallender ist der Umstand, dass, wenn man das eine Ende desselben Glasstabs in einer Weingeistflamme einige Minuten lang erhitzt und dann erkalten lässt, der Glasstab an diesem Ende völlig unwirksam auf die Krystallisation des Glaubersalzes wird; man kann denselben in die Flüssigkeit eintauchen und darin herumbewegen, ohne dass eine Veränderung wahrnehmbar ist; dreht man aber den Glasstab um und berührt die Flüssigkeit mit dem ungeglühten Ende, so erstarrt sie sogleich zu einer blätterigen Krystallmasse; der oberflächlichen Beobachtung erscheint der Glasstab, wie wenn er Pole, gleich einem Magnetstab, hätte; auf der einen Seite behält er eine Eigenschaft, die er am anderen Ende durch die Wärme verliert; an freier Luft liegend, nimmt er nach und nach die verlorene Eigenschaft wieder an: aber in einem verschlossenen Gefässe aufbewahrt, bleibt er 10 bis 14 Tage lang unwirksam. Selbst nach dem Eintauchen des Stabes in Wasser und Trocknen an der Luft empfängt derselbe die verlorene Wirksamkeit nicht wieder.

Ueber den Einfluss der Bewegung auf die Krystallisation haben wir eine befriedigende Erklärung, aber die Wirkung der Wärme auf die Eigenschaft des Glasstabes, die Krystallbildung einzuleiten, ist uns bis jetzt noch völlig dunkel.

Wenn man einen Kupferstich auf eine niedrige offene Schachtel legt, auf deren Boden sich etwas Jod befindet und in dieser Weise einige Minuten lang den Dämpfen von Jod aussetzt, die sich bei gewöhnlicher Temperatur bilden, und dann auf ein Stück Papier fest aufdrückt, welches, wie das gewöhnliche Maschinenpapier, mit Stärkmehl geleimt und mit sehr verdünnter Schwefelsäure befeuchtet ist, so erhält man auf diesem Papier einen vollkommen genauen Abdruck des Kupferstichs in dem schönsten Himmelblau. Legt man den blauen Abdruck auf eine Kupferplatte, so verschwinden allmählich die blauen Linien auf dem Papier und es erscheint jetzt das Bild vollkommen deutlich auf dem Kupfer. Ein Kupferstich, eine Zeichnung, sogar ein Oelgemälde, wenn sie wenige Augenblicke den Joddämpfen ausgesetzt werden, reproduciren sich auf einer Silberplatte, und wenn diese jetzt den Dämpfen von Quecksilber ausgesetzt und auf gewöhnliche Weise behandelt wird, so hat man ein den schönsten Daguerreotypen gleiches Bild. Es ist hier vollkommen deutlich, dass die dunkeln Stellen des Kupferstichs oder die schwarze

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_177.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)