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mit chemischer Action bezeichnen, ist eine Aeusserung der chemischen Kraft und nichts weiter als eine Thatsache, welche beweist, dass in einem gegebenen Fall die chemische Anziehung stärker ist als alle Widerstände, die sich ihrer Aeusserung entgegensetzen. Die chemische Verbindung ist aber nur ein, und sicher nicht der einzige Effect der chemischen Affinität.

Dieser unvollkommene Zustand unserer Kenntnisse von dem Wesen und den Wirkungen der Naturkräfte erklärt, warum man in dem gegenwärtigen Augenblicke die Frage in Beziehung auf die Existenz einer besonderen, in dem lebendigen Leibe wirkenden Ursache seiner Thätigkeit durch die Methode der Ausschliessung nicht lösen kann.



Dreiundzwanzigster Brief.


Das Leben der Pflanzen ist an die Aufnahme von Nahrungsmitteln geknüpft, die sie aus der Luft, dem Wasser, dem Boden empfangen. Diese Stoffe sind unorganische; aus Kohlensäure, Ammoniak und Wasser, aus Schwefel-, Phosphor- und Kieselsäure, aus Alkalien, alkalischen Erden und Eisen entstehen die Elemente der belebten Gebilde. Aber der in der Pflanze vor sich gehende Process ist der Gegensatz der unorganischen Processe. In der unorganischen Natur herrschen Mechanismus und Chemismus; die Verwitterung der Steine, die Zertrümmerung der Gebirge beruht auf dem Wärmewechsel, auf der Einwirkung von Wasser und Luft, und durch die chemische Action des Sauerstoffs werden die organischen Wesen, so wie das Leben erlischt, zurückgeführt in die ursprünglichen Verbindungen, aus denen der Leib sich bildete.

Aber im Organismus der lebendigen Pflanzen verlieren Luft, Wasser, Sauerstoff und Kohlensäure ihren chemischen Charakter und üben weder durch ihre Masse noch durch Affinität eine Wirkung aus.

Ausserhalb der Sphäre der in der Pflanze thätigen lebendigen Kräfte äussert der Sauerstoff seine vorwiegenden Verwandtschaften zu den verbrennlichen Elementen dem Kohlenstoff, dem Wasserstoff; innerhalb der Pflanze wird er aus dem Wasser, aus der Kohlensäure ausgeschieden, und durch die Blätter wird er der Luft als Sauerstoff wiedergegeben; der Lebensprocess der Pflanze ist der Gegensatz des Oxydationsprocesses, der in der anorganischen Natur vor sich geht, er ist ein Reductionsprocess.

Die grosse Mehrzahl der im Organismus der Pflanzen gebildeten und aus ihnen hervorgehenden Producte enthält Sauerstoff und ausser diesem zwei bis vier verbrennliche Elemente; aus diesen drei bis fünf Elementen entsteht die unendliche Reihe von organischen Verbindungen, die in ihren Eigenschaften so ausserordentlich grosse Unterschiede zeigen. Wenn Sie die Baumwollenfaser mit dem Milchzucker und der Säure im Sauerkraut vergleichen, so tritt Ihnen die auffallende Verschiedenheit dieser Dinge sogleich entgegen. Aber die chemische Analyse sagt Ihnen, dass diese Materien Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff enthalten, und

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_179.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)