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zu wecken, und die Entfaltung der Idee durch diese eine Zelle der Zeit und dem Zufall zu überlassen.

Hören wir wie der Meister in der Entwickelungsgeschichte – Bischoff – (in seinen im Frühjahr 1858 in München gehaltenen Vorträgen) über die Kette, welche die organischen Wesen bilden sollen, sich ausspricht:

„Als man von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an die höchst stehenden Affen, den Orang-Outang von der Insel Borneo und Sumatra und den Chimpanzé von der Küste von Guinea allmählich theils durch Ueberbringen todter, dann aber selbst auch lebender Thiere nach Europa immer besser und besser kennen lernte, sahen sich selbst die grössten damaligen Naturforscher, wie Linné, Buffon, Camper u. A. in Verlegenheit, welche körperlichen Unterschiede sie zwischen dem Menschen und Thiere aufstellen sollten. Die Uebereinstimmung und Aehnlichkeit schien ihnen so gross, dass sie theils gar keine, theils nur untergeordnete Verschiedenheiten finden zu können glaubten und dieselben theils nur in nicht körperliche Verhältnisse verlegten, theils dieselben geradezu aufgaben und bestritten.“

„Gerade aus den genauesten wissenschaftlichen Forschungen schien es als unabweisbar hervorzugehen, dass sich der Mensch nur in einem kaum merkbaren Uebergang unmittelbar an die Thiere anschliesse. Es war das die Zeit, wo man in der ganzen, namentlich in der thierischen Schöpfung eine ununterbrochene Kette von immer höher entwickelten und sich eng an einander anschliessenden Formen erkannt haben wollte, wo es denn sehr natürlich war, auch den Menschen nur durch einen kleinen kaum merkbaren Fortschritt an die Spitze der Thierwelt gestellt zu sehen. Eben so schienen die subtilsten Forschungen über die Entwickelung der Individuen denselben Satz zu beweisen. Man glaubte erkannt zu haben, dass das höher stehende Individuum und auch der Mensch während seines Eizustandes und seiner Entwickelung alle Stufen der niederen Thierwelt durchlaufe, dass der Keim der Menschen Anfangs etwa einem Infusorium, dann einem Weichthiere, Wurme oder Insect, hierauf einem Fische, Amphibium, Vogel und höherem Säugethiere gleiche, und sich seine eigenthümliche Form erst nach Durchlaufen der übrigen herausbilde. So war die Zeit schon einmal da, wo man es für einen unerträglichen und abgeschmackten Hochmuth erklärte, dass sich der Mensch für irgend etwas Besseres und Höheres halte als die Thiere, und dass nur der Dünkel Unterschiede festzuhalten suche, welche seine Anmassung rechtfertigen sollten.“

„Allein diese Richtung konnte und kann sich nicht halten. Die Stütze, auf welche sie gebaut war und ist, das Naturstudium, führt mit Nothwendigkeit selbst zu ihrem Umsturz und ihrer Beschränkung auf das Wahre, was in ihr liegt. Es wiederholt sich die Wahrheit des bekannten Satzes, dass die Wissenschaft, halb, einseitig, nach falscher Methode betrieben, zu Irrthum und Täuschung, ganz aber und nach richtigen Grundsätzen angebaut, zur Wahrheit führt.“

„Je genauer man die Thiere und namentlich auch jene bis dahin seltenen Affenarten kennen lernte, um so mehr überzeugte man sich, dass trotz vielfach grosser Uebereinstimmung zwischen ihnen und dem Menschen

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_183.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)