Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 210.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Es ist in dem obigen Beispiele die Beziehung von nur einer Qualität der Körper und ihrer Zusammensetzung hervorgehoben worden; allein dieser Beziehungen giebt es eben so viele, als wie der Körper besondere Eigenschaften besitzt. Für eine grosse Gruppe von organisch-chemischen Verbindungen hat man ein Gesetz ermittelt, wonach sich aus der Kenntniss des Siedepunktes und der Zusammensetzung festsetzen lässt, wie viel Pfunde ein Kubikfuss der Verbindung wiegt, dass also auch die Eigenschaft des specifischen Gewichtes, des Druckes also, den die Körper bei gleichem Rauminhalte auf eine Unterlage äussern, in einer ganz bestimmten Beziehung zu zwei anderen steht, die sich ändert, so wie sich diese beiden ändern.

Ein ähnliches Abhängigkeitsverhältniss hat sich in Beziehung auf die Wärmemenge, welche verschiedene Körper bedürfen, um sich auf einerlei Temperatur zu erheben, und die Gewichtsverhältnisse herausgestellt, in denen sie sich unter einander verbinden.

Es ist eine bekannte Thatsache, dass verschiedene Körper bei einerlei Temperatur verschiedene Wärmemengen enthalten. Gleiche Gewichte Schwefel, Eisen und Blei, die man auf den Siedepunkt des Wassers erwärmt hat, bringen, mit Eis in Berührung, eine gewisse Menge davon zum Schmelzen, und zwar ist die Menge flüssiges Wasser, welches unter diesen Umständen entsteht, sehr verschieden.

Wäre das Wärmequantum in den drei Körpern gleich, so müsste die Menge des geschmolzenen Eises bei allen gleich viel betragen, und der ungleiche Effect, der hier hervorgebracht wird, zeigt an und für sich schon auf die Ungleichheit der wirkenden Ursache. Der Schwefel schmilzt sechs und ein halb mal, das Eisen viermal so viel Eis als das Blei. Es ist vollkommen einleuchtend, dass wenn wir Schwefel, Eisen und Blei auf einerlei Temperaturdifferenz, von 15° auf 200° z. B. mit derselben Spirituslampe zu erhitzen haben, so würden wir für Blei z. B. 1 Loth, für dieselbe Menge Schwefel 6½ Loth und für das gleiche Gewicht Eisen fast 4 Loth Spiritus zu verbrennen haben.

Diese verschiedenen Wärmemengen, welche gleiche Gewichte verschiedener Körper brauchen, um auf eine gegebene Temperaturdifferenz erwärmt zu werden, die jedem derselben eigenthümlich sind, heissen gerade deshalb die eigenthümlichen oder specifischen Wärmen. Aus der Kenntniss der ungleichen Wärmemengen, welche die Körper bei gleichem Gewichte und einerlei Temperatur enthalten, gestattet ein einfaches Regel-de-tri-Exempel, die ungleichen Gewichte von Schwefel, Blei und Eisen zu berechnen, welche ein gleiches Wärmequantum enthalten, und es ergiebt sich aus dieser Berechnung, dass z. B. 16 Schwefel so viel Eis schmelzen, wie 28 Eisen und 104 Blei von gleicher Temperatur. Diese Zahlen sind die nämlichen, wie die Mischungsgewichte (Aequivalentzahlen). Gleiche Aequivalente dieser und vieler anderer Körper enthalten oder nehmen, um sich auf einerlei Temperatur zu erheben, einerlei Wärmemengen auf, und wenn wir uns die Aequivalente als die relativen Gewichte der Atome denken, so ist klar, dass die Wärmemenge, die ein Atom unter gleichen Bedingungen aufnimmt oder abgiebt, für je ein Atom gleich ist, und sich, in Zahlen ausgedrückt, umgekehrt verhält, wie die Gewichte der Atome.

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_210.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)