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anderen einnimmt und weil beide gleichzeitig sich nicht an demselben Platze befinden können, sondern sich gegenseitig verdrängen.

Es ist ferner einleuchtend, dass der Kohlensäuregehalt der Luft ein Haupthinderniss der Kohlensäureausscheidung aus dem Blute und damit ein Haupthinderniss der Sauerstoffabsorption ist. Wenn der Kohlensäuregehalt der Luft zunimmt, so wird, auch wenn der Sauerstoffgehalt derselbe bleibt, die Absorption des letzteren beeinträchtigt; nur durch eine entsprechende Vermehrung des Sauerstoffgehaltes würde diese schädliche Wirkung der Kohlensäure aufgehoben werden können. Ein solches Zunehmen des Sauerstoffs findet in gewöhnlichen Umständen niemals statt; aber Regnault und Reiset haben beobachtet, dass Thiere in Luft, welche anderthalbmal bis doppelt so viel Sauerstoff als die gewöhnliche Luft enthielt, bei einem Gehalt derselben an 17 bis 23 Procent Kohlensäure, athmen konnten, ohne dass nach 22 bis 26 Stunden nachtheilige Wirkungen wahrgenommen wurden. Ein solcher Gehalt von Kohlensäure in gewöhnlicher Luft wirkt absolut tödtlich.

Die Erfahrung, dass Menschen und Thiere beim Einathmen von reinem kohlensaurem Gas sehr rasch sterben, während sie in Stickgas und Wasserstoffgas verhältnissmässig länger am Leben bleiben, erklärt sich eben daraus, dass in einer Atmosphäre von Kohlensäure das Blut keine Kohlensäure abgiebt, sondern im Gegentheil noch aufnimmt, wodurch der im venösen Blute enthaltene geringe Antheil Sauerstoff aus dem Blute abgeschieden, jedenfalls dessen vitale Function sehr gehindert oder aufgehoben wird.

Die günstigste Bedingung einer raschen und vollkommenen Bildung von arteriellem Blut und einer gesteigerten Kohlensäureausscheidung ist demnach ein schneller Wechsel der Luft in den Luftzellen der Lunge.

Wenn die eingeathmete Luft dieselbe Zusammensetzung besitzt wie die ausgeathmete, so wird der Zweck des Athmungsprocesses nicht mehr erfüllt. Die ausgeathmete Luft ist verbrauchte Luft, welche zum zweiten Male zu den nämlichen Functionen in der Lunge nicht mehr dienen kann; das venöse Blut wird nicht mehr in arterielles Blut verwandelt, es treten sehr bald, ganz so, wie wenn Mund und Nase verschlossen worden wären, Athembeschwerden und Erstickung ein.

Der Tod wird in diesem Falle bedingt durch zwei Ursachen: die eine ist ohne Zweifel der Mangel an Sauerstoff, die andere hingegen das kohlensaure Gas, durch dessen Gegenwart die weitere Aufnahme des Sauerstoffs gehindert ist. In einem der Versuche von Regnault und Reiset verfiel ein dreijähriger Hund in einer Luft, deren Sauerstoffgehalt bis auf 4½ Procent sich vermindert hatte, bei einem Kohlensäuregehalt von 9¾ Procent in Todeskampf; an der Luft erholte er sich übrigens bald und war nach einer halben Stunde so munter wie zuvor. In diesen Versuchen wurde die ausgeschiedene Kohlensäure in dem Raume selbst, in welchem das Thier athmete, durch Kalilauge, welche gleichzeitig mit hineingebracht worden war, zum grössten Theile hinweggenommen.

Wenn man auf die Minute im Zustande der Ruhe 15 Athemzüge und auf jede Ausathmung ½ Liter Luft (= 32 hess. = 31 engl. Cubikzoll) und in der ausgeathmeten Luft 5 Procent Kohlensäure und 15 Procent

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_232.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)