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Sauerstoff annimmt, so findet man leicht, dass ein Mensch in 24 Stunden 540 Liter oder 34½ hess. Cubikfuss Kohlensäure (1 Cubikfuss hess. = 0,551 engl.) producirt und 10800 Liter oder 691 Cubikfuss Luft verbraucht. [1]

In einem geschlossenen Raume von 8 Fuss Höhe, 9 Fuss Länge und 8 Fuss Breite würde ein Mensch nicht über 24 Stunden ohne Beschwerde athmen können; nach dieser Zeit würde die darin enthaltene Luft die Zusammensetzung der ausgeathmeten Luft besitzen, bei längerem Aufenthalte in dieser Luft würde ein Krankheitszustand, zuletzt der Tod sich einstellen. Lavoisier und Seguin fanden, dass der Kohlensäuregehalt der ausgeathmeten Luft, wenn sie wieder eingeathmet wird, bis zu 10 Procent vermehrt werden kann; darüber hinaus nahm aber ihre Menge nicht mehr zu, auch wenn das Athmen fortgesetzt wurde, was nur kurze Zeit ging. Diesen Kohlensäuregehalt kann man wohl als die Grenze betrachten, von welcher an das Leben eines Menschen gefährdet ist.

Fälle dieser Art, in welchen der Tod in einem für den Aufenthalt vieler Menschen unzureichenden Luftraum durch ihren Athmungsprocess herbeigeführt wurde, sind nicht selten. Einer der neuesten und beklagenswerthesten Fälle ereignete sich vor einigen Jahren auf einem Schiffe mit Auswanderern, welche während eines Sturmes an der englischen Küste in dem Schiffsraum eingesperrt sich befanden; in weniger als 6 Stunden verloren über 60 Menschen das Leben.

In einem Raume, in welchem viele Menschen athmen und in dem Luft durch die zufälligen Oeffnungen in den Thüren und Fenstern nur unvollständig sich erneuert, zeigt die Verlängerung der Lichtflammen so wie das Trübbrennen derselben deutlich die veränderte Beschaffenheit der Luft an.

Schon die Idee, Luft einzuathmen, welche in der Lunge eines anderen, wenn auch gesunden Menschen eine Zeit lang verweilt hat, verursacht ein Unbehagen; sicher ist, dass ein Gehalt von 1 Procent Kohlensäure in der Luft ein merkliches Uebelbefinden herbeiführt, und der Nutzen einer zweckmässig angebrachten Lufterneuerung für alle Räume, in welchen sich Menschen aufhalten, ist einleuchtend.

Für eine erwachsene Person sollte einem solchen Raum per Stunde mindestens sechs Cubikmeter (384 hess. = 216 engl. Cubikfuss) reine Luft zugeführt werden; in der Regel rechnet man die Hälfte mehr. In der Luft der Deputirtenkammer in Paris, deren innerer Raum 5000 Cubikmeter fasst, fand Leblanc bei Anwesenheit von 600 Personen und bei einer Ventilation von 11000 Cubikmeter per Stunde, in der ausfliessenden Luft noch 1 Gewichtstheil Kohlensäure auf 400 Luft, dies ist immer noch 2½ mal mehr, als die atmosphärische Luft enthält.

Für geschlossene Räume, in Schiffen, manchen Krankenzimmern und Schlafsälen könnte durch Anwendung von Kalkhydrat die fehlende Ventilation auf eine Zeit lang mit Nutzen ersetzt werden. Die Wirkung

  1. Nach den hierüber gemachten Angaben kann man diese Zahlen als das Minimum der Kohlensäurebildung betrachten; bei achtzehn Athemzügen beträgt der Sauerstoffverbrauch schon ein Fünftel mehr.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_233.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)