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Es verdient noch hervorgehoben zu werden, dass Thierfibrin und Pflanzenfibrin, Thieralbumin und Pflanzenalbumin, Thiercasein und Pflanzencasein nicht allein die nämlichen Elemente in denselben Verhältnissen enthalten, sondern auch gleiche Eigenschaften besitzen. Der Weizenkleber löst sich in Wasser, dem man auf die Unze einen Tropfen Salzsäure zugesetzt hat, beinahe ganz zu einer trüben Flüssigkeit auf, in welcher, wie in der Lösung, die man in gleicher Weise aus Muskelfleisch erhält, durch Kochsalzlösung ein Gerinnsel entsteht. Mit reinem Wasser übergossen und der Fäulniss überlassen, löst sich derselbe zum grossen Theil ganz, wie in gleichen Verhältnissen das Muskelfibrin, zu einer klaren Flüssigkeit auf, welche jetzt eine Menge durch Wärme gerinnbares Albumin enthält.

Diese verschiedenen Stoffe liefern zuletzt in Oxydationsprocessen einerlei Producte, was die Chemie als einen Beweis betrachtet, dass ihre Elemente auch in gleicher Weise geordnet sind. Diese Producte sind merkwürdig genug, dass es wohl werth ist, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Bei der Einwirkung starker Alkalien tritt ein Theil des Schwefels dieser Substanzen an das Kali, die Kalilauge empfängt durch einen Gehalt von Schwefelkalium die Eigenschaft, bei Zusatz eines Tropfens einer Lösung von Bleizucker eine von Schwefelblei dintenschwarz gefärbte Flüssigkeit zu bilden; bei weiterer Zersetzung durch die Alkalien entstehen aus allen zwei krystallisirbare, den organischen Basen verwandte Substanzen, das Tyrosin und das Leucin[1], welches letztere Prout zuerst in faulem Käse, Walter Crum in faulendem Kleber auffand, ausser diesen mehrere flüchtige fette Säuren, Buttersäure und Baldriansäure. Durch Oxydationsprocesse in sauren Flüssigkeiten erhält man daraus eine zahlreiche Menge sehr merkwürdiger Producte, unter denen Blausäure, Bittermandelöl, die genannten beiden Säuren, Ameisensäure, Essigsäure und mehrere Aldehyde sich befinden, so dass wohl kein anderer organischer Körper in diesem Verhalten den genannten Thier- und Pflanzenstoffen an die Seite gestellt werden kann.

Die Betrachtung, dass Pflanzenalbumin, Pflanzenfibrin und Pflanzencasein, dass Thiercasein und Thierfibrin die einzigen Nahrungsstoffe aus dem Thier- und Pflanzenreiche sind, aus welchen in dem Ernährungsprocesse die Hauptbestandtheile des Blutes und alle geformten Theile des Thierkörpers in dem Lebensprocesse gebildet werden, hat diesen fünf schwefel- und stickstoffhaltigen Substanzen, zu denen das Blutalbumin selbst gehört, in so fern es als ein Bestandtheil des Thierleibes zum Nahrungsmittel dient, den Namen der plastischen Nahrungsmittel gegeben.

Es giebt in der That keinen Theil eines Organs, welcher eine ihm eigene Gestalt besitzt, dessen Elemente nicht von dem Albumin des Blutes stammen; alle geformten Bestandtheile des Körpers enthalten eine gewisse Menge Stickstoff.

  1. Diese Producte erhalten eine besondere Bedeutung, in so fern man z. B. Leucin im Körper selbst (in den Flüssigkeiten der Leber des Kalbes) fertig gebildet aufgefunden hat.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_243.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)