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Von dem Vorhandensein der stickstofffreien Bestandtheile der Organe, des Wassers und des Fettes, sind viele physikalische Eigenschaften derselben abhängig, sie vermitteln die Vorgänge und Processe, durch welche die organischen Gebilde entstehen. Das Fett nimmt Antheil an der Bildung der Zellen, von dem Wasser rührt die flüssige Beschaffenheit des Blutes und aller Säfte her; in gleicher Weise ist die milchweisse Farbe der Knorpeln, die Durchsichtigkeit der Hornhaut des Auges, die Weichheit, Geschmeidigkeit, Biegsamkeit, die elastische Beschaffenheit der Muskelfaser und der Gewebe, der Seidenglanz der Bänder und Sehnen abhängig von einem bestimmten Wassergehalt; das Fett macht einen nie fehlenden Bestandtheil der Gehirn- und Nervensubstanz aus; eben so enthalten die Haare, das Horn, die Klauen, Zähne und Knochen stets eine gewisse Menge Wasser und Fett; aber in allen diesen Theilen sind Wasser und Fett nur mechanisch aufgesaugt wie in einem Schwamm oder, wie in den Zellen das Fett, in Tropfengestalt eingeschlossen, und sie lassen sich denselben durch mechanischen Druck und Auflösungsmittel entziehen, ohne dass die Structur dieser organischen Theile im mindesten geändert wird; sie besitzen niemals eine ihnen eigene organische Form, sondern sie nehmen immer die Form der organischen Theile an, deren Poren sie erfüllen; sie gehören nicht zu den plastischen Bestandtheilen des Körpers oder zu den plastischen Bestandtheilen der Nahrungsmittel.



Dreissigster Brief.


Die Nahrung aller Thiere enthält neben den plastischen Bestandtheilen, aus denen das Blut und die organischen Gebilde entstehen, stets und unter allen Umständen eine gewisse Menge stickstoff- und schwefelfreier Substanzen.

Das Fleisch, welches das fleischfressende Thier verzehrt, enthält eine gewisse Menge Fett; die Milch enthält Fett (in der Butter) und neben diesem einen leicht krystallisirbaren Körper, den Milchzucker, welcher aus den süssen Molken beim Abdampfen erhalten wird. Die Nahrung der pflanzenfressenden Thiere enthält stets eine dem Milchzucker in seinem chemischen Verhalten ähnliche oder verwandte Substanz.

Die Eigenschaften des Milchzuckers als eines Bestandtheiles der Milch und eines Productes des thierischen Lebensprocesses sind von besonderem Interesse; bis jetzt ist der Milchzucker nur in der Milch und nach neueren Untersuchungen auch in den Hühnereiern, wiewohl nur in geringer Menge, aufgefunden worden.

Der Milchzucker kommt im Handel in oft zolldicken krystallinischen Krusten vor, welche gewöhnlich wegen mangelnder Sorgfalt und Reinlichkeit bei seiner Darstellung gelblich, oft gelbbraun und von schmutzigem Ansehen sind. Durch eine neue Krystallisation erhält man denselben, namentlich bei Anwendung von Kohle zum Entfärben der Lösung,

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_244.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)