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Silberoxyd, Kupferoxyd, Eisenoxyd und Indigo ist er dem Milchzucker völlig gleich.

Der Rohrzucker unterscheidet sich von dem Milchzucker und Traubenzucker in seiner Zusammensetzung durch die Elemente von einem Wasseratom, welche die letzteren mehr enthalten, aber durch Berührung mit Fermenten oder Säuren geht derselbe, indem das fehlende Wasseratom in seine Zusammensetzung eintritt, mit grosser Leichtigkeit in Traubenzucker über.

Die in dem Pflanzenreich verbreitetste und in der Nahrung der Pflanzenfresser am häufigsten vorkommende Substanz, welche in dem Ernährungsprocess die wichtige Rolle des Milchzuckers übernimmt, ist das Amylon oder Stärkmehl, welches in seinen Eigenschaften demselben am unähnlichsten zu sein scheint.

Das Stärkmehl ist in den Samen der Getreidepflanzen und Leguminosen, in Wurzeln und Knollen, im Holze in rundlichen Körnchen abgelagert und kann nach dem Zerreissen der Zellen, in denen es eingeschlossen ist, durch Auswaschen mit Wasser leicht erhalten werden. Zerreibt man Kartoffeln, oder unreife Aepfel, oder Birnen, Kastanien, Eicheln, Rettig, Pfeilwurzel, das Mark der Sagopalme und wäscht den Brei auf einem feinen Siebe mit Wasser aus, so setzt sich aus der weisslich trübe ablaufenden Flüssigkeit Stärkmehl in Gestalt eines blendend weissen sehr feinen Pulvers ab; in dem Handel kommt das Stärkmehl in verschiedenen Formen vor: die feinste Weizenstärke ist unter dem Namen Puder bekannt; der Sago, das gekörnte und in der Hitze getrocknete und etwas zusammengebackene Stärkmehl der Sagopalme, Arrow-root, das Stärkmehl der Pfeilwurzel, Mandiocca, das Stärkmehl der Jatropha Manihot (welche drei letzteren auf dem Continente meistens aus Kartoffelstärkmehl bestehen). Alle Arten Stärkmehl haben einerlei Zusammensetzung und zeigen ein gleiches chemisches Verhalten. Bis auf das eigenthümliche Stärkmehl in der Alantwurzel (Inula Helenium), der Georginenknollen und vieler Flechten geben die anderen mit heissem Wasser einen mehr oder weniger flüssigen oder gallertartigen Kleister, welcher durch Jodlösungen eine prächtig indigblaue Farbe annimmt.

Es ist im 18. Brief bereits erwähnt worden, dass das Stärkmehl durch den Einfluss des Getreideklebers beim Keimen des Getreides, oder durch Schwefelsäure in Traubenzucker übergeführt wird.

In einem warmen Auszug von Gerstenmalz wird der Stärkekleister sogleich flüssig, es entsteht im Anfang eine dem Gummi ähnliche Substanz, bekannt unter dem Namen Stärkegummi oder Dextrin, welche bei längerer Einwirkung des Malzauszugs vollständig in Traubenzucker übergeführt wird. Eine ganz ähnliche Wirkung auf das Stärkmehl besitzt der lufthaltige Speichel. Eine Mischung von Speichel mit Stärkekleister, der Temperatur des menschlichen Körpers ausgesetzt, wird flüssiger und süss; durch eine entsprechende Menge Speichel kann alles Stärkmehl in Traubenzucker übergeführt werden.

Die Verschiedenheit des Stärkmehls und Milchzuckers in ihrer äusseren Form oder Beschaffenheit wird, wie man hiernach leicht versteht, in dem Verdauungsprocess beinahe ganz aufgehoben. Die Natur selbst hat

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_246.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)