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verrichten, ohne dass den darauf folgenden Tag eine Abnahme an seinem Körpergewicht wahrnehmbar ist; wenn es im Zustande der Ruhe die nämliche Menge Futter empfängt, so wird es schwerer, es nimmt bis zu einer gewissen Grenze an seinem Körpergewicht zu; es ist klar, durch das genossene Futter wurde in dem Leibe des Pferdes eine gewisse Summe von Kraft erzeugt, welche zur Ueberwindung von äusseren Widerständen oder in dem Leibe selbst verwendbar war. Wurde diese Kraft zur Arbeit verbraucht, so blieb sich sein Körpergewicht gleich; wurde sie in dem Organismus zu vitalen Zwecken verwendet, so nahm dieser in allen seinen Theilen an Masse zu.

Es ergiebt sich hieraus, dass die Arbeitskraft eines Thieres in einem bestimmten Verhältniss steht zu dem Ueberschuss an Futter, der im Zustand der Ruhe sein Körpergewicht vermehrt.

Wenn wir das ewige, unwandelbar feste Naturgesetz nicht falsch interpretiren, so kann das Verhältniss der plastischen Nahrung, welche der arbeitende Mensch täglich bedarf, nicht geringer sein als das, welches die Natur selbst für die Entwickelung des menschlichen Körpers und für dessen Zunahme in allen seinen Theilen zubereitet, es ist das Verhältniss, wie wir es in der Frauenmilch finden. Die Nahrung des arbeitenden Menschen sollte demnach auf vier Gewichtstheile der nicht stickstoffhaltigen Substanzen einen Gewichtstheil plastischen Nahrungsstoff enthalten.

Dies will natürlich nichts anderes sagen, als was man weiss, seit die Welt und in der Welt die Menschen bestehen, dass das Individuum nämlich, wenn es das Maass von Arbeit verrichten soll, welches es den Bedingungen gemäss, die in seinem Organismus liegen, verrichten kann, dem Brode eine gewisse Quantität von Fleisch zusetzen muss, dass das Verhältniss der plastischen Bestandtheile in der Nahrung zu den anderen nach der Beschaffenheit seines Körpers zunehmen muss, wenn er mehr als die mittlere Arbeitskraft verwendet, dass er im Zustand der Ruhe ein kleineres Verhältniss an plastischem Nahrungsstoff bedarf.[1]

Es folgt hieraus ferner, dass dem Kinde, welches die Wohlthat entbehrt, die ihm nöthige Nahrung von seiner Mutter zu empfangen, wenn es mit Kuhmilch ernährt wird, die ein grösseres Verhältniss an plastischer Nahrung enthält, dass dieser Kuhmilch Milchzucker (Zucker), oder feinem Mehlbrei Kuhmilch zugesetzt werden muss, wie dies die Erfahrung längst gelehrt hat, um die gleiche Wirkung wie die Muttermilch in seinem Leibe hervorzubringen.

Es folgt daraus ferner, was ebenfalls alle Welt weiss, dass, wenn das Kind, oder der Mensch im jugendlichen Alter, durch äussere Verhältnisse genöthigt wird, einen Theil der in seinem Leibe erzeugbaren Kraft nach aussen hin in der Arbeit zu verwenden, und dieser Mehrverbrauch an Kraft nicht ersetzt wird durch angemessene Nahrung oder nicht ersetzbar ist, weil sein Körper nur ein gewisses Quantum von Speise verdauen kann, so muss seine körperliche Entwickelung gestört und aufgehalten werden.

  1. Nach einer Berechnung von Knapp verzehrt ein Soldat nach dem Seite 217 u. 218 angeführten Verbrauch in seinen Speisen auf 10 Theile plastische 47 Theile stickstofffreie Bestandtheile.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_252.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)