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Einunddreissigster Brief.


In den beiden vorhergehenden Briefen ist gewissen Bestandtheilen der Samen, Wurzeln, Knollen, der Kräuter, Früchte und des Fleisches das Vermögen zugeschrieben worden, die Processe der Ernährung und Athmung zu unterhalten, und es wird als ein sehr auffallender Widerspruch erscheinen, dass keine der genannten Substanzen, weder der Käsestoff für sich, noch die Substanz der Muskelfaser, das Albumin der Eier oder des Blutes, noch die entsprechenden Pflanzenstoffe, die plastischen Processe, dass das Stärkmehl, der Zucker, das Fett den Respirationsprocess zu unterhalten vermögen, ja was noch mehr Erstaunen erregen dürfte, dass diesen Substanzen, mit einander gemengt, in welchen Verhältnissen es auch sei, ohne die Mitwirkung gewisser anderer Materien die Eigenschaft der Verdaulichkeit abgeht, so zwar, dass sie beim Ausschluss dieser anderen Bedingungen gänzlich unfähig sind, die Fortdauer des Lebens und der Lebenserscheinungen zu vermitteln.

In den zahlreichen von Physiologen und Chemikern angestellten Versuchen, Thiere mit diesen Substanzen, für sich oder gemengt, zu ernähren, starben alle nach kürzerer oder längerer Zeit mit den Erscheinungen, welche den Hungertod begleiten; nach wenigen Tagen schon war selbst der quälendste Hunger nicht vermögend, diese Thiere dahin zu bringen, die vorgelegte Speise zu fressen, indem die bereits gewonnene Erfahrung und der im Anfang betrogene Instinct ihnen sagte, dass die Aufnahme dieser Nahrungsstoffe in ihren Magen für den Ernährungszweck eben so gleichgiltig sei, als wenn sie Steine genössen.

Auf der anderen Seite ist es eine seit Jahrtausenden bewährte Thatsache, dass Fleisch und Brod für sich oder mit einander gemengt, so wie die Milch der Thiere das Leben ohne weitere Mitwirkung irgend eines anderen Stoffes in voller Energie zu erhalten vermögen, und es folgt hieraus von selbst, dass diese Nahrungsmittel, so wie die Pflanzen und Pflanzentheile, welche das gras- und körnerfressende Thier geniesst, diejenigen anderen Bedingungen in dem richtigen Verhältnisse enthalten müssen, deren Gegenwart und Mitwirkung unerlässlich nothwendig für den Verdauungs- und Ernährungsprocess ist.

Diese nothwendigen Vermittler der organischen Processe, durch welche die plastischen Nahrungsmittel und die Respirationsmittel diejenigen Eigenschaften erlangen, die sie geschickt und geeignet zur Erhaltung des Lebens machen, sind die unverbrennlichen Bestandtheile oder die Salze des Blutes.

Die unverbrennlichen Bestandtheile des Blutes aller Thiere sind von einerlei Natur und Beschaffenheit; von den zufälligen oder wechselnden abgesehen, enthält das Blut stets und unter allen Umständen gewisse Mengen von Phosphorsäure, von Alkalien (Kali, Natron), alkalischen Erden (Kalk, Bittererde), Eisen in oxydirtem Zustande und Kochsalz (Chlornatrium).

Alle diese Materien waren, ehe sie zu Bestandtheilen des Blutes wurden, Bestandtheile der Speisen, welche der Mensch, oder des Futters,

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_261.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)