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Die in diesen Gebilden enthaltene Phosphorsäure stammt vom Blute. Das Blut enthält unter allen Umständen eine gewisse Menge Phosphorsäure.

Es ist auf dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft noch nicht möglich, eine ganz bestimmte Ansicht über die Art und Weise der Mitwirkung der Phosphorsäure in dem organischen Process zu äussern, und wir müssen uns begnügen, ihre Nothwendigkeit für die vitalen Vorgänge aus ihrem constanten Vorhandensein in allen Flüssigkeiten und geformten Theilen des Thierkörpers zu erschliessen[1].

Wenn wir uns den thierischen Organismus in zwei Theile getheilt denken, so zeigt die Beobachtung, dass die darin vorgehenden Processe in dem einen Theil durch die Mitwirkung einer vorherrschenden alkalischen Base, in dem anderen durch die einer freien Säure vermittelt werden.

Alle geformten, festen Theile enthalten alkalische Basen und Phosphorsäure in einem solchen Verhältnisse, dass wenn beide mit einander verbunden gedacht werden, die Phosphorsäure vorwaltet. (S. die Note.)

  1. Einige Thatsachen scheinen dafür zu sprechen, dass die Phosphorsäure und ihre sauren Erdsalze mit dem Albumin, der Substanz der Membranen, wahre chemische Verbindungen einzugehen vermögen, und dass viele Eigenthümlichkeiten der Letzteren, namentlich ihre Unlöslichkeit in Wasser und in alkalischen Flüssigkeiten, davon abhängig sind. Wenn man z. B. Milch mit einer verdünnten Säure vorsichtig bis zum Verschwinden der alkalischen Reaction versetzt und zum Sieden erhitzt, so tritt eine Gerinnung wie beim Eiweiss ein. Der in dieser Weise gefällte Käsestoff unterscheidet sich aber von dem reinen Käsestoff sehr wesentlich durch seine Unlöslichkeit in alkalischen Flüssigkeiten; in gleicher Weise verhält sich der aus Milch durch Lab coagulirte Käsestoff; es sind Verbindungen des Käsestoffs mit phosphorsauren Erdsalzen (Kalk und Bittererde), oder wenn man den sogenannten reinen Käsestoff als eine mit Phosphorsäure gepaarte Säure betrachtet, so ist der unlösliche Käsestoff das coagulirte Kalk- oder Bittererdesalz dieser Säure. An dem Gestehen oder dem Gelatiniren des gewöhnlichen Leims hat der in chemischer Verbindung darin vorhandene phosphorsaure Kalk einen ganz bestimmten Antheil. Man weiss, dass man durch anhaltendes Sieden der Häute und Knochen eine Leimauflösung erhält, welche beim Erkalten zu einer festen Gallerte gerinnt; wenn diese Gallerte in ihrer Lösung für sich oder mit Alkalien versetzt längere Zeit im Sieden erhalten wird, so verliert sich ihre Eigenschaft zu gelatiniren, und zwar geschieht dies unter Abscheidung von phosphorsaurem Kalk.

    Das ganz eigenthümliche Verhalten des Blutfibrins gegen Salzsäure ist S. 174 hervorgehoben worden. Wenn das in der salzsauren Flüssigkeit gallertartig aufgequollene Blutfibrin damit zum Sieden erhitzt wird, so löst es sich zu einer filtrirbaren Flüssigkeit auf, in welcher sich jetzt Phosphorsäure und Kalk durch Reagentien nachweisen lassen, und mit der Trennung dieser beiden Körper von dem organischen Bestandtheil wird das Blutfibrin ganz wie die Leimsubstanz in kaltem Wasser löslich; es ist wahrscheinlich, dass das Gerinnen des Albumins, des Blutserums und der Eier in der Hitze auf dem Austreten von Alkali und auf der Bildung einer neuen, in Wasser, verdünnten Säuren und Alkalien in der Kälte unlöslichen Verbindung des Albumins mit Phosphorsäure und Kalk beruht.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_264.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)