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des Blutes. Seit langem hatte man die Beobachtung gemacht, dass beim Genuss von saftigen Früchten, Kirschen, Erdbeeren, Aepfeln etc., der Harn alkalisch wird. Alle diese Früchte, so wie die Säfte der Wurzeln, Knollen und Kräuter, enthalten diese Alkalien in der Form von pflanzensauren Salzen, in der Regel als äpfelsaures (alles Kernobst, Ananas), citronensaures (Steinobst, Johannisbeeren, Kartoffeln), weinsaures (Weintrauben) Alkali. Es ist von Gilbert Blane und Wöhler nachgewiesen worden, dass sich die Salze für sich genau verhalten wie die Salze in diesen verschiedenen Pflanzentheilen; durch den Mund (oder in einem Klystier) genommenes citronensaures, weinsaures, äpfelsaures, essigsaures Kali erscheinen in dem Harn als kohlensaures Kali.

In ihren neutralen oder sauren Salzen dem Blute zugeführt, verbrennen die Säuren dieser Salze eben so vollständig wie in dem vollkommensten Verbrennungsapparate. Die in dem Harn der Pflanzenfresser vorherrschenden kohlensauren Alkalien stammen von derselben Quelle, von den in dem Futter enthaltenen pflanzensauren Alkalien her.

In ganz gleicher Weise wird die Harnsäure bei Gegenwart von Alkali in dem Organismus zerstört. In dem Harn von Kaninchen, denen man verhältnissmässig grosse Gaben Harnsäure in der Form von harnsaurem Kali (bis 2 zu 2½ Gramm) gegeben hatte, liess sich keine Harnsäure mehr entdecken; die Harnsäure war übergeführt in Oxalsäure und Harnstoff, dessen Menge den gewöhnlichen Gehalt des Harns in demselben wenigstens um das Fünffache überstieg. (Frerichs.) Der Harnstoff entspricht aber, wie man weiss, der Kohlensäure; es ist Kohlensäure, in welcher die Hälfte des Sauerstoffs ersetzt und vertreten ist durch sein Aequivalent Amid (NH2).

Der Grund der ausnehmend gesteigerten Verbrennlichkeit aller dieser Substanzen ist offenbar, wie die einfachsten Betrachtungen beweisen, die alkalische Beschaffenheit des Blutes.

Die pflanzenfressenden Thiere verzehren in ihrem Futter eine Menge Pflanzensäuren in freiem Zustande, welche gleich den an die alkalischen Basen gebundenen Säuren im Blutkreislauf zerstört werden und verschwinden; in ihrem Organismus wird, wie kaum zu bezweifeln ist, gerade so wie im Leibe des Fleischfressers, Harnsäure als unvollkommenes Verbrennungsproduct der im Stoffwechsel verbrauchten plastischen Bestandtheile erzeugt, aber diese Harnsäure erscheint im gesunden Zustande niemals in ihrem an freiem Alkali reichen Harn.

Wir erklären uns diese Erscheinung auf eine befriedigende Weise aus dem Gehalt ihres Blutes an kohlensaurem Alkali.

Die Pflanzensäuren, indem sie in das Blut gelangen, oder die Harnsäure, die im Leibe erzeugt wird, zersetzen die kohlensauren Alkalien im Blute und bilden neutrale Salze, welche durch den vorhandenen Sauerstoff eben so schnell zerstört werden, als sie sich bilden. Die freigewordene Kohlensäure entweicht durch die Lunge.

Die nämlichen organischen Säuren, welche in der Form von Salzen, d. h. begleitet von alkalischen Basen, auch in dem Blute des Menschen mit Schnelligkeit verschwinden, erscheinen, wenn sie ohne diese Alkalien genossen werden, zum grossen Theil unverändert im Harn; selbst die verbrennlichsten unter ihnen, wie die Weinsäure und

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_272.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)