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Fleischextract eine ausgedehntere Anwendung zu verschaffen. „Im Gefolge eines Truppencorps“, sagt Parmentier, „würde der Fleischextract dem schwerverwundeten Soldaten ein Stärkungsmittel bieten, welches mit etwas Wein seine durch grossen Blutverlust geschwächten Kräfte augenblicklich heben und ihn in den Stand setzen würde, den Transport in’s nächste Feldhospital zu ertragen.“ „Es giebt keine glücklichere Anwendung, die sich erdenken liesse“, sagt Proust. „Welche kräftigendere Arznei, welche mächtiger wirkende Panacee, als ein Stück des ächten Fleischextractes aufgelöst in einem Glase edlen Weines? Die ausgesuchtesten Leckerbissen der Gastronomie sind alle für die verwöhnten Kinder des Reichthums! Sollten wir denn nichts in unseren Feldlazarethen haben für den Unglücklichen, den sein Geschick verurtheilt, für uns die Schrecken eines langen Todeskampfes im Schnee und im Koth der Sümpfe zu erdulden?“

Jetzt, nachdem uns die Wissenschaft mit der Natur und Beschaffenheit des Fleischsaftes genauer bekannt gemacht hat, erscheint es als eine wahre Gewissenssache, die Vorschläge dieser edlen Männer der Aufmerksamkeit der Regierungen wiederholt zu empfehlen.

In Podolien, in Buenos Ayres, in Mexico, in Australien[1], in vielen Gegenden der Vereinigten Staaten Nordamerika’s, wo das Rindfleisch oder das Fleisch von Schafen kaum einen Werth besitzt, liessen sich mit den einfachsten Mitteln die grössten Quantitäten des besten Fleischextractes sammeln, dessen Zufuhr für die kartoffelessende Bevölkerung Europa’s vielleicht eine ganz besondere Bedeutung gewinnen dürfte. Für die zahlreichen Hospitäler des Continents und die bedauernswürdigen Bewohner derselben würde dieser Fleischextract die Fleischbrühe ersetzen und der Arzt darin das Mittel haben, stets und unter allen Umständen eine Fleischbrühe von gleichförmiger Beschaffenheit und beliebiger Stärke zu verordnen.

Es ist mehrmals schon versucht worden, in Gegenden, wo das Fleisch sehr wohlfeil ist, Fleischextract im Grossen zu fabriciren, und unter dem Namen Suppentafeln einen Gegenstand des Handels daraus zu machen; aber das Product dieser Fabriken erwarb sich keine Freunde und wurde gerade in den Hospitälern, wo man es vorzugsweise hätte gebrauchen können, nicht angewendet. Der Grund hiervon lag in dem Product selbst; es war zu theuer und man wurde bald gewahr, dass es die Eigenschaften und Wirkungen der Fleischbrühe nicht hatte. Die schlechte Beschaffenheit der sogenannten Suppentafeln wurde vorzüglich durch eine ganz irrige Ansicht über die Ursache der Wirksamkeit der Fleischbrühe herbeigeführt. Man hatte nämlich gesehen, dass die durch Kochen vom

  1. Herr James King, einer der intelligentesten Colonisten Australiens, welcher sich die ausgezeichnetsten Verdienste um die Cultur des Weinstocks in diesem Welttheil erworben hat, schreibt mir Folgendes: „(Irrawang near Raymond Terrace, New South Wales, 26. Oct. 1850.) Die hiesige Gegend ist ein sehr ausgedehntes und vorzügliches Weideland. Hornvieh und Schafe sind zahlreich und wohlfeil. Tausende derselben werden jeden Monat geschlachtet und das Fleisch zur Gewinnung des Fettes ausgekocht; der nahrhafte Theil des Fleisches wird als nutzlos hinweggeworfen; das allerbeste Ochsenfleisch kostet nicht über einen halben Penny (1½ Kr.) das Pfund.“
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_287.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)