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Ogston) bis 60 Procent[1] (Erdmann); es giebt Weizen, dessen Aschenbestandtheile in Beziehung auf Beschaffenheit und Menge die nämlichen sind, wie die des ausgekochten und ausgelaugten Fleisches, und es lässt sich nicht behaupten, dass Brod aus diesem Mehl, ausschliesslich genossen, das Leben auf die Dauer erhalten könne[2].

Das feinste Weizenmehl enthält mehr Stärkmehl als das gewöhnliche; die Weizenkleie ist verhältnissmässig am reichsten an Kleber.

Das feine amerikanische Weizenmehl gehört zu den kleberreichsten und damit zu den nahrhaftesten Mehlsorten.

Roggenmehl und Roggenbrod enthalten eine dem Stärkegummi (dem sog. Dextrin) in den Eigenschaften ähnliche Substanz, welche ausnehmend leicht in Zucker übergeht; das Stärkmehl der Gerste nähert sich in manchen Eigenschaften der Cellulose und ist minder verdaulich. Der Hafer ist besonders reich an plastischen Bestandtheilen, der schottische reicher als der in Deutschland und England gebaute (R. Th. Thomson); diese Getreideart enthält in ihrer Asche, nach Abrechnung der Kieselerde der Bälge, sehr nahe die Aschenbestandtheile des Fleischsaftes.

Um die Absonderung des Mehles von den Hülsen zu befördern, wird von vielen Müllern das Getreide vor dem Mahlen schwach angefeuchet; wenn diese Feuchtigkeit durch sehr sorgfältiges Trocknen mittels künstlicher Wärme nicht vollständig aus dem Mehle wieder entfernt wird, so veranlasst sie beim Aufbewahren die Verderbniss des Mehls; es bekommt einen mulsterigen Geschmack, ballt sich zu Klumpen und fühlt sich rauh an wie Gyps. Der Teig aus diesem Mehl wird schmierig und giebt ein schweres, dichtes, nicht poröses Brod. Diese Verderbniss beruht auf einer durch die Feuchtigkeit vermittelten Einwirkung des Klebers auf das Stärkmehl, durch welche in dem Mehle Essigsäure und Milchsäure entstehen, die den Kleber löslich in Wasser machen, was er für sich nicht ist.

Manche Salze machen den Kleber wieder unauflöslich, indem sie damit eine chemische Verbindung einzugehen scheinen, und es entdeckten vor etwa 20 Jahren die belgischen Bäcker in dem (giftigen) Kupfervitriol als Zusatz zum Teig ein Mittel, aus verdorbenem Mehle ein dem Ansehen und der äusseren Beschaffenheit nach eben so schönes Brod wie aus dem besten Weizenmehle zu backen. Diese Verbesserung der physikalischen Eigenschaften ist natürlich eine Verschlechterung seiner chemischen. Aehnlich wie Kupfervitriol wirkt Alaun; dem Teige zugesetzt

  1. Weizenasche.
    Analyse von Erdmann.
    Nach Abzug von Eisenoxyd (1,33 Procent Kieselerde und Sand 3,37)
    Phosphorsaure Alkalien (PO52MO) 49,18
    Phosphorsaure Erden (PO52MO) 23,13
    Freie Phosphorsäure 27,69
    100,00

    Man vergleiche hiermit die trefflichen Analysen von Th. Way und Ogston.

  2. „Ist das feinste Weizenmehl ein eben so vollkommenes Nahrungsmittel als das rohe Mehl? Ich glaube nicht, und ich erinnere in dieser Beziehung an den Versuch Magendie’s, in welchem ein Hund nach 40 Tagen starb, welcher ausschliesslich mit weissem Weizenbrod gefüttert wurde, während ein zweiter Hund, welcher schwarzes Brod erhielt (Mehl und Kleien) am Leben blieb, ohne Störung seiner Gesundheit.“ (Millon, Comptes rendus Tom. 28 p. 40.)
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_299.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)