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Ernährungswerth ein zweiter Werth sich gesellt, den sie als Respirationsmittel zwar immer besitzen, der aber in Zeiten des Ueberflusses nicht angeschlagen wird.

Man hat, um das Brod wohlfeiler zu machen, vorgeschlagen, dem Brodteig Kartoffel-Stärkmehl oder Dextrin, Reis, Rübenmark, ausgepresste rohe Kartoffeln, oder gekochte Kartoffeln zuzusetzen, aber alle diese Zusätze vermindern den Ernährungswerth.

Kartoffel-Stärkmehl, Dextrin oder Rübenmark, dem Mehle zugesetzt, geben eine Mischung, deren Ernährungswerth dem der Kartoffeln gleich oder noch niedriger ist; aber die Verwandlung des Getreidemehls in eine den Kartoffeln oder dem Reis gleichwerthige Nahrung wird Niemand eine Verbesserung nennen können. Die wahre Aufgabe ist: die Kartoffeln, den Reis dem Weizenmehl in dessen Wirkung ähnlich oder gleich zu machen, und nicht umgekehrt; es bleibt unter allen Umständen besser, die Kartoffeln abgekocht aus der Hand zum Brod zu essen; ihr Zusatz zum Brode sollte geradezu, des unvermeidlichen Betruges wegen, polizeilich verboten werden. Der Zusatz von Erbsen- oder Bohnenmehl zum Roggenmehl oder von weissem Käse, wie dies in Bayern geschieht (Dr. Vogel), entspricht weit eher dem Zweck; es wird aber im Preise damit nichts gewonnen,

Ein wahres Ersparniss und wirklichen Nutzen gewähren im Grunde nur diejenigen Abfälle, die im gewöhnlichen Laufe der Dinge von den Menschen zu ihrer Ernährung nicht verwerthet werden.

In England werden z. B. viele tausend Centner des feinsten und besten Weizenmehls auf Stärkmehl für die Appretirung der Baumwollenzeuge verarbeitet, und der bei dieser Fabrikation abfallende Kleber (12 bis 20 Procent des trockenen Mehls) geht meistens als Nahrungsstoff für die Menschen verloren. In den Versuchen der französischen Akademiker wurden Hunde 90 Tage lang ausschliesslich mit Weizenkleber gefüttert, welcher roh ohne Widerwilen und ohne Unterbrechung von den Thieren gefressen wurde, ohne irgend bemerkliche Störung ihrer Gesundheit[1].

Von den organischen Bestandtheilen des Fleischsaftes abgesehen giebt es keine Substanz, welche dem Fleischfibrin in Beziehung auf Eigenschaften und Ernährungswerth näher steht als Weizenkleber. In etwas Salzwasser abgekocht, getrocknet und in grobes Mehl verwandelt, lässt sich der Kleber leicht aufbewahren und giebt bei Zusatz von etwas Fleischextract und den gewöhnlichen Küchenkräutern die kräftigste, schmackhafteste und nahrhafteste Suppe. Als Mundvorrath für Schiffe und Festungen würde der trockene Weizenkleber (mit Fleischextract) eine Masse von Fleisch entbehrlich machen.

In der Bierbereitung findet bekanntlich eine Trennung der blutbildenden Bestandtheile der Gerste von dem Stärkmehl statt; von den ersten gehen die in der Bierwürze gelösten, welche in der Gährung als

  1. Kleber aus einer Stärkmehlfabrik lieferte 1 bis 1¼ Procent Asche, welche 7,87 Kali, 2,14 Natron, 17,31 Kalk, 12,08 Bittererde, 7,13 Eisenoxyd, zusammen 47,13 Basen mit 52,08 Phosphorsäure, 0,69 Schwefelsäure und 0,09 Chlor enthielt. (Kekulé.)
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_302.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)