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Verdauungsorganen setzt sie dem Mehlbrei einen Malzaufguss zu, anstatt des Rohrzuckers giebt sie ihm Milchzucker, dieses vortreffliche, von der Natur selbst für seinen Respirationsprocess zubereitete Respirationsmittel[1], sie gestattet ihm ohne Einschränkung den Genuss von Kochsalz.

Die ungleichen Wirkungen der Speisen in Beziehung auf die körperlichen und geistigen Functionen der Menschen, so wie ihr Zusammenhang mit physiologischen und chemischen Ursachen sind unbestreitbar, aber es ist bis jetzt kaum der Versuch zu einer Erklärung nach den Gesetzen der Naturforschung gemacht worden.

Manche Schriftsteller behaupten, dass das Fleisch und Brod Phosphor, die Milch und Eier ein phosphorhaltiges Fett, gleichwie das Gehirn, enthalten, und dass an das phosphorhaltige Fett die Entstehung, folglich auch die Thätigkeit des Gehirns geknüpft sei. Daher lasse sich z. B. bei Denkern (weil sie viel Phosphor verbrauchen) kein Ueberfluss an Phosphor annehmen, und es bleibe immer wahr: ohne Phosphor kein Gedanke (s. Lehre der Nahrungsmittel für das Volk von Dr. Jac. Moleschott. Erlangen 1850. Seite 116.) Die Wissenschaft kennt keinen Beweis, dass der thierische Körper und die Nahrung der Menschen und Thiere Phosphor als solchen enthalten, in der Form wie etwa Schwefel darin enthalten ist. Es ist längst dargethan, dass die Phosphorsäuremenge, die man bei der Einäscherung thierischer Körper oder von Nahrungsmitteln weniger als auf nassem Wege erhält, ein blosser Verlust ist, welcher durch Zersetzung und Verflüchtigung von Phosphorsäure in Folge der Einwirkung der Hitze bei Gegenwart von Kohle verursacht wird, und der durch einfachen Zusatz von Alkalien und alkalischen Erden, welche die Phosphorsäure binden, verhütet werden kann. Niemals ist bis jetzt in irgend einem Fett des Körpers, des Gehirns oder der Nahrung ein Phosphorgehalt (nicht Phosphorsäure-Gehalt) wirklich nachgewiesen worden. Die Ansichten, dass solche Verbindungen existieren und dass ihre Gegenwart mit der Erzeugung von Gedanken im menschlichen Gehirn in Beziehung stehe, gehen in der Regel von Dilettanten in der Naturwissenschaft aus und beruhen auf oberflächlichen Anschauungen ohne den geringsten wissenschaftlichen Grund.

Gewiss ist es, dass drei Menschen, von denen der eine sich mit Ochsenfleisch und Brod, der andere mit Brod und Käse oder Stockfisch, der dritte mit Kartoffeln gesättigt hat, eine ihnen entgegenstehende Schwierigkeit unter ganz verschiedenem Gesichtspunkte betrachten; je nach gewissen, den verschiedenen Nahrungsmitteln eigenthümlichen Bestandtheilen ist ihre Wirkung auf Gehirn und Nervensystem verschieden.

Ein Bär, welcher auf der hiesigen Anatomie gehalten wurde, zeigte, so lange er ausschliesslich Brod zur Nahrung erhielt, eine ganz sanfte Gemüthsart; ein paar Tage mit Fleisch gefüttert, machten ihn bösartig, beissig und selbst für seinen Wärter gefährlich; es ist bekannt, dass die vis irascibilis der Schweine durch Fleischnahrung so gesteigert werden kann, dass sie Menschen anfallen.

  1. In den Käsereien Englands gehen jährlich Tausende von Centnern dieses Respirationsmittels in den Molken verloren.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_305.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)