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zu einer blossen Folge jener Gewöhnung machen zu wollen. Eine gute Erziehung, eine erhöhte Cultur mindert die Anzahl der Verbrechen, gleich wie die Anzahl der jährlichen Todesfälle in unsern Mortalitätstabellen.“ (Quetelet, Ueber den Menschen und die Entwickelung seiner Fähigkeiten, deutsch von Riecke. Stuttgart 1838.)

Es ist klar, dass die Erkenntniss der wahren Mittel, um die menschliche Gesellschaft einem bessern Zustande näher zu führen und das Glück der Völker dauernd zu begründen, nur durch die Aufsuchung des Einflusses aller andern Einrichtungen, Gebräuche, Gewohnheiten und Institutionen auf die Moralität des Menschen, auf dem Wege der Zahlen erlangt werden kann. Dies ist die wahre Naturforschung.



Dreiunddreissigster Brief.


Jedemann weiss, dass in dem begrenzten, wie wohl ungeheuren Raume des Meeres ganze Welten von Pflanzen und Thieren auf einander folgen, dass eine Generation dieser Thiere alle ihre Elemente von den Pflanzen erhält, dass die Bestandtheile ihrer Organe nach dem Tode des Thieres die ursprüngliche Form wieder annehmen, in welcher sie einer neuen Generation von Pflanzen zur Nahrung dienen.

Der Sauerstoff, den die Seethiere in ihrem Athmungsprocess der daran so reichen im Wasser gelösten Luft (sie enthält 32 bis 33 Volum-Procente, die atmosphärische nur 21 Procent Sauerstoff) entziehen, wird in dem Lebensprocess der Seepflanzen dem Wasser wieder ersetzt; er tritt an die Producte der Fäulniss der gestorbenen Thierleiber, verwandelt ihren Kohlenstoff in Kohlensäure, ihren Wasserstoff in Wasser, während ihr Stickstoff die Form von Ammoniak wieder annimmt.

Wir beobachten, dass im Meere, ohne Hinzutritt oder Hinwegnahme eines Elementes, ein ewiger Kreislauf stattfindet, der nicht in seiner Dauer, wohl aber in seinem Umfang begrenzt ist, durch die in dem begrenzten Raume in endlicher Menge enthaltene Nahrung der Pflanze.

Wir wissen, dass bei den Seegewächsen von einer Zufuhr an Nahrung, von Humus, durch die Wurzel nicht die Rede sein kann. Welche Nahrung kann in der That die faustdicke Wurzel des Riesentangs aus einem nackten Felsstück ziehen, an dessen Oberfläche man nicht die kleinste Veränderung wahrnimmt – eine Pflanze, welche eine Höhe von 360 Fuss erreicht (Cook), von der ein Exemplar mit seinen Blättern und Zweigen Tausende von Seethieren ernährt. Die Pflanzen bedürfen offenbar nur einer Befestigung, welche den Wechsel des Ortes hindert, oder eines Gegengewichts, um sie schwimmend zu halten; sie leben in einem Medium, das allen ihren Theilen die ihnen nöthige Nahrung zuführt; das Meerwasser enthält ja nicht allein Kohlensäure und Ammoniak, sondern auch die phosphorsauren und kohlensauren Alkalien und Erdsalze, welche die Seepflanze zu ihrer Entwickelung bedarf, und die wir als nie fehlende Bestandtheile in ihrer Asche finden. Alle Erfahrungen

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_318.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)