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dieser Gegenden an atmosphärischem Nahrungsstoff nicht fehlen kann; er fehlt auch unseren Culturpflanzen nicht. Durch die unaufhörliche Bewegung der Atmosphäre wird allen Pflanzen eine gleiche Menge von den zu ihrer Entwickelung nöthigen atmosphärischen Nahrungsstoffen zugeführt; die Luft unter den Tropen enthält nicht mehr davon, als die Luft in den kalten Zonen, und dennoch, wie verschieden scheint das Productionsvermögen von gleichen Flächen Landes dieser verschiedenen Gegenden zu sein!

Alle Pflanzen der tropischen Gegenden, die Oel- und Wachspalmen, das Zuckerrohr, sie enthalten, verglichen mit unseren Culturgewächsen, nur eine geringe Menge der eigentlichen, zur Ernährung des Thieres nothwendigen Blutbestandtheile. Die Knollen der einem hohen Strauch gleichen Kartoffelpflanze in Chili würden, von einem ganzen Morgen Land gesammelt, kaum hinreichen, um das Leben einer irländischen Familie einen Tag lang zu fristen (Darwin). Die zur Nahrung dienenden Pflanzen, welche Gegenstände der Cultur sind, sind ja nur Mittel zur Erzeugung dieser Blutbestandtheile. Beim Mangel an den Elementen, die für ihre Erzeugung der Boden liefern muss, wird sich vielleicht Amylon, Zucker, Holz, aber es werden sich diese Blutbestandtheile nicht bilden können. Wenn wir auf einer gegebenen Fläche mehr davon hervorbringen wollen, als auf dieser Fläche die Pflanze im freien wilden, im normalen Zustande aus der Atmosphäre fixiren oder aus dem Boden empfangen kann, so müssen wir eine künstliche Atmosphäre schaffen, wir müssen dem Boden die Bestandtheile zusetzen, die ihm fehlen.

Die Nahrung, welche verschiedenen Gewächsen in einer gegebenen Zeit zugeführt werden muss, um eine freie und ungehinderte Entwickelung zu gestatten, ist sehr ungleich.

Auf dürrem Sande, auf reinem Kalkboden, auf nackten Felsen gedeihen nur wenige Pflanzengattungen, meistens nur perennirende Gewächse; sie bedürfen zu ihrem langsamen Wachsthum nur sehr geringe Mengen von Mineralsubstanzen, die ihnen der für andere Gattungen unfruchtbare Boden in hinreichender Menge noch zu liefern vermag; die einjährigen, namentlich die Sommergewächse, wachsen und erreichen ihre vollkommene Ausbildung in einer verhältnissmässig kurzen Zeit, sie kommen auf einem Boden nicht fort, welcher arm ist an den zu ihrer Entwickelung nothwendigen Mineralsubstanzen. Um ein Maximum an Grösse in der gegebenen kurzen Periode ihres Lebens zu erlangen, reicht die in der Atmosphäre enthaltene Nahrung nicht hin. Es muss für sie, wenn die Zwecke der Cultur erreicht werden sollen, in dem Boden selbst eine künstliche Atmosphäre von Kohlensäure und von Ammoniak geschaffen, und dieser Ueberschuss von Nahrung, welchen die Blätter sich aus der Luft nicht aneignen können, muss den ihnen correspondirenden Organen, die sich im Boden befinden, zugeführt werden. Das Ammoniak reicht aber mit der Kohlensäure allein nicht hin, um zu einem Bestandtheile der Pflanze, um zu einem Nahrungsstoff für das Thier zu werden; ohne die Alkalien wird kein Albumin, ohne phosphorsaure Alkalien und Erdsalze wird kein Pflanzenfibrin, kein Pflanzencasein gebildet werden können; die Phosphorsäure des phosphorsauren Kalkes, den wir in den Rinden und Borken der Holzpflanzen in so grosser Menge als Excrement sich

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_321.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)