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Ein Körper, z. B. ein Stück Zucker, löst sich um so rascher in einer Flüssigkeit, je feiner er gepulvert ist; durch das Pulvern wird seine Oberfläche und damit die Anzahl der Theilchen vergrössert, die in einer gegebenen Zeit mit der Flüssigkeit in Berührung kommen, die sie auflöst; in allen chemischen Actionen dieser Art geht die Wirkung von der Oberfläche aus; ein Nahrungsmittel, welches sich im Boden befindet, wirkt durch seine Oberfläche, was unterhalb der Oberfläche liegt, ist wirkungslos, weil es nicht auflöslich ist; je mehr in einer gegebenen Zeit von der Pflanze davon aufgenommen wird, desto wirksamer ist es in dieser Zeit. Fünfzig Pfund Knochen können je nach dem Grad ihrer Zertheilung so viel in einem Jahr wirken wie hundert, zweihundert oder dreihundert Pfund in grobem Pulver; das letztere ist nie wirkungslos, aber um zu wirken, das ist um sich aufzulösen, braucht es längere Zeit; die Wirkung ist geringer, hält aber länger an.

Um die Wirkung des Bodens und seiner Bestandtheile auf die Vegetation richtig zu verstehen, muss man fest im Auge behalten, dass die darin enthaltenen Nahrungsmittel immer wirkungsfähig, wie wohl nicht immer wirksam sind; sie sind immer bereit in den Kreislauf zu treten, wie ein Mädchen zum Tanz, aber es gehört ein Tänzer dazu.

Acht Stoffe hat der Landwirth im Boden nöthig, wenn alle seine Pflanzen üppig gedeihen, wenn seine Felder die höchsten Erträge liefern sollen. Manche davon, aber nicht alle, sind stets und in Menge darin vorräthig, drei sind den meisten Feldern nur geliehen. Diese acht Stoffe sind gleich acht Ringen einer Kette um ein Rad; ist einer davon schwach, so reisst die Kette bald, der fehlende ist immer der Hauptring, ohne den das Rad die Maschine nicht bewegt. Die Stärke der Kette bedingt der schwächste von den Ringen.

Wir haben geglaubt, dass die Pflanzen ihre Nahrung aus einer Lösung empfangen; dass die Schnelligkeit ihrer Wirkung mit ihrer Löslichkeit in nächster Beziehung stehe. Durch das Regenwasser im Verein mit der Kohlensäure würden die wirksamen Bestandtheile derselben den Pflanzenwurzeln zugeführt. Die Pflanze sei wie ein Schwamm, der zur Hälfte in der Luft, zur Hälfte im feuchten Boden stehe; was der Schwamm durch die Verdunstung in der Luft verliere, sauge er unaufhörlich wieder aus dem Boden auf. Aus den Blättern verdunste das durch die Wurzel aufgenommene Wasser, die Wurzeln empfingen das verlorene Wasser aus dem Boden wieder; was in dem Wasser gelöst sei, gehe mit den Wassertheilchen in die Wurzeln über; die Pflanze eigne sich das Gelöste im Ernährungsprocess an, der Boden und die Pflanze seien beide passiv.

Wir haben gelehrt, dass ein Nahrungsmittel in dem Boden, entfernt von jeder Wurzelfaser, die Pflanze ernähren könne, wenn sich zwischen der Faser und dem Nahrungsstoff Wassertheilchen befänden, die denselben aufzulösen vermögen. In Folge der Verdunstung durch die Blätter saugen die Wurzeln die Wassertheilchen auf, die in dieser Weise alle zusammen eine Bewegung nach der Wurzelfaser hin empfangen; mit den Wassertheilchen bewege sich der gelöste Stoff. Das Wasser, so glaubten wir, ist der Karren, der die entfernten Bodenbestandtheile in die Nähe und in unmittelbare Berührung mit der Pflanze bringt.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_349.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)