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Kali und alle Kieselsäure, der an organischen Materien, an sogenanntem Humus reiche, entzieht das Kali, aber die Kieselsäure bleibt in der Flüssigkeit gelöst zurück. Dieses Verhalten erinnert unwillkürlich an die Wirkung, welche verwesende Pflanzenüberreste im Boden auf die Entwickelung der Pflanzen ausüben, die grosse Mengen von Kieselsäure bedürfen, wie die Halmgewächse, Schilf und Schachtelhalm, welche letzteren in sogenanntem saurem Moor- und Wiesenboden vorherrschen; wird dieser Boden gekalkt, so verschwinden bekanntlich diese Pflanzen und machen den besseren Futtergewächsen Platz.

Der Versuch zeigt, dass die nämliche an humosen Stoffen reiche Garten- und Walderde, welche der Lösung des kieselsauren Kali keine Kieselsäure entzogen hat, diese Eigenschaft augenblicklich gewinnt, wenn man sie vor dem Zusammenbringen mit dem Silicat mit etwas gelöschtem Kalk mischt; es bleiben alsdann beide Bestandtheile, Kieselsäure und Kali, in der Erde zurück.



Neununddreissigster Brief.


Aus dem beschriebenen Verhalten der Ackererde gegen Kali, Ammoniak und Phosphorsäure geht unzweifelhaft hervor, dass die Mehrzahl unserer Culturgewächse ihre wichtigsten und zum Wachsthum wesentlichsten mineralischen Bestandtheile nicht aus einer Lösung vom Boden empfangen kann; denn wenn das Kali, das Ammoniak den Säuren, womit sie verbunden sind, so wie dem Wasser so vollständig entzogen werden, dass nach dem Durchgang ihrer Lösung durch Schichten, die nicht höher als die gewöhnliche Ackerkrume sind, die chemische Analyse kaum Spuren von diesen Stoffen mehr nachzuweisen vermag, so lässt es sich nicht denken, dass Regenwasser für sich oder mit Hülfe von wenigen Procenten Kohlensäure das Vermögen besitze, diese Stoffe der Ackerkrume zu entziehen und eine Lösung zu bilden, die sich im Boden fortbewegen kann, ohne die gelösten Substanzen wieder zu verlieren. Dasselbe muss für die Phosphorsäure und die phosphorsauren Salze gelten. Das mit Kohlensäure vollständig gesättigte Wasser wird überall, wo es Körnchen von phosphorsaurem Kalk antrifft, dieses Salz auflösen; allein dieses Lösungsmittel kann nur bewirken, dass sich das phosphorsaure Salz in der Ackererde verbreitet, die Lösung kann ebenfalls den Ort, wo sie sich gebildet hat, nicht verlassen, ohne dass das aufgelöste Salz von Ackererde, welche nicht damit gesättigt ist, der Lösung wieder entzogen wird.

In dem Boden sind diese Stoffe in einem ähnlichen Zustande, wie etwa Farbstoffe in der Kohle oder Jod in Jodstärkmehl, enthalten in einem für die Aufnahme durch die Wurzeln geeigneten Zustand, aber für sich nicht löslich im Regenwasser und nicht eher hinwegführbar durch dieses Lösungsmittel, als bis die Ackerkrume damit gesättigt ist.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_353.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)