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und erhält sich wärmer als seine Temperatur sein würde ohne diese Eigenschaft. Eine zweite Quelle, aus welcher die ausgetrocknete Ackerkrume, vermittelst ihres Absorptionsvermögens, ihre Feuchtigkeit schöpft, bieten die tiefer liegenden feuchten Erdschichten. Von ihnen aus muss nach der Oberfläche eine beständige Destillation von Wasserdampf statthaben, dessen Absorption von einer gleichen Wärmeentwickelung in den oberen Schichten begleitet ist. Indem man durch Drainirung das durch capillare Anziehung aufsteigende Wasser tiefer legt, empfängt jetzt die trockene Ackerkrume eine Menge Feuchtigkeit in Gasgestalt aus den unteren Schichten, welche für das Bedürfniss der Gewächse dient und gleichzeitig die Ackerkrume erwärmt.

In diesen Thatsachen erkennen wir eines der merkwürdigsten Naturgesetze. An der äussersten Erdkruste soll sich das organische Leben entwickeln, und die weiseste Einrichtung giebt ihren Trümmern das Vermögen alle diejenigen Nahrungsstoffe aufzusammeln und festzuhalten, welche Bedingungen desselben sind. Dieses Vermögen bewahrt auch in den scheinbar ungünstigen Verhältnissen dem fruchtbaren Boden die darin enthaltenen oder gegebenen Bedingungen seiner Fruchtbarkeit.



Vierzigster Brief.


Noch vor wenigen Jahren lehrte die wissenschaftliche Landwirthschaft und alle praktischen Männer waren davon überzeugt, dass die Fruchtbarkeit und Ertragsfähigkeit eines Bodens bedingt und abhängig sei von dem Gehalte desselben an Humus, oder den kohlenstoffreichen Ueberresten vorangegangener Vegetationen, und jetzt glaubt Niemand mehr, der einige Einsicht besitzt, dass – ohne die Wirksamkeit der im Stalldünger zugeführten organischen Materien in einzelnen Fällen in Zweifel zu ziehen – die Erträge eines Feldes an kohlenstoffreichen Materien in irgend einem Verhältniss stehen zu dem Humusgehalt des Bodens, und dass die Fruchtbarkeit des Feldes wirklich, wie man früher glaubte, gemessen werden könne durch seinen Humusgehalt.

Wir haben jetzt eine nähere und genauere Kenntniss erhalten von dem Antheil, den der Humus an der Vegetation nimmt, und können die Fälle im voraus bezeichnen, in welchen seine Gegenwart nützlich oder schädlich ist. Wir wissen, dass er nur dann nützlich ist, wenn der Boden die den Pflanzen dienlichen fixen Bodenbestandtheile in genügender Menge enthält, und dass er nicht wirkt, wenn diese fehlen; in Folge seiner Verwesung im Boden entsteht eine Kohlensäurequelle, durch welche die fixen Nahrungsstoffe löslich und nach allen Seiten hin verbreitbar gemacht werden.

In seinen bemerkenswerthen Versuchen über die Wirkung der Ammoniaksalze erntete Lawes in 12 Jahren auf einem und demselben Felde durch Anwendung von fixen Bodenbestandtheilen und Ammoniaksalzen

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_360.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)