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sein müsste, um den verschiedenen Pflanzen ihren vollen Bedarf an Stickstoff abgeben zu können.

Wenn wir nun auf die Betrachtungen im nächsten Briefe gestützt annehmen, dass ein Feld auf jedem Quadratmillimeter seines Querschnittes ½ Milligramm Ammoniak enthalten müsse, um an die Wurzeln einer Weizenpflanze allen Stickstoff abgeben zu können, den diese für ihr volles Wachsthum im Ganzen bedarf, so müsste ein Hectar Feld abwärts, soweit die Hauptwurzeln reichen, 10,000 Pfund Ammoniak oder 0,12 bis 0,13 Procent Ammoniak enthalten.

Vergleicht man damit den Ammoniak- oder Stickstoffgehalt der Ackererden aus verschiedenen Ländern, so weit derselbe durch zahlreiche Analysen festgestellt worden ist, so ergiebt sich, dass bei weitem die Mehrzahl unserer Culturfelder schon auf 10 Zoll Tiefe nicht allein diese Quantität, sondern weit mehr davon enthält.

Und da unzweifelhaft die Culturpflanzen durch die Blätter im Regen und Thau so wie aus der Luft eben so viel stickstoffhaltige Nahrung in der Form von Ammoniak und Salpetersäure zugeführt erhalten und aufnehmen, als wie die wildwachsenden Pflanzen, welche durch die Hand des Menschen keinen stickstoffhaltigen Dünger empfangen, so sieht man ein, dass der Landwirth nur selten in die Lage kommen kann, den Grund des geringen Gedeihens seiner Früchte in einem Mangel an Ammoniak oder stickstoffhaltiger Nahrung allein zu suchen, und dass er zunächst, um seine Erträge zu verbessern, gewisse andere Bedingungen in’s Auge fassen muss.

Die Bekanntschaft mit der in einem Boden enthaltenen Ammoniak- oder Stickstoffmenge reicht demnach nicht aus, um die Fruchtbarkeit oder Ertragsfähigkeit eines Feldes zu beurtheilen, und wenn auch durch Zufuhr von Ammoniak manche Felder eine bessere Ernte liefern, so wird auf der grössten Mehrzahl anderer auch die stärkste Zufuhr von diesem Nahrungsstoffe ohne Wirkung bleiben, weil der Stickstoff wohl dabei sein muss und Antheil nimmt an der Erzeugung der Pflanzenmasse, aber für sich keine Wirkung hat, wenn die Bedingungen mangeln, die ihn wirksam machen.

Die im Jahr 1843 von Schattenmann im Elsass angestellten Versuche sind in dieser Beziehung sehr lehrreich: seine mit Ammoniaksalzen gedüngten Weizenfelder gaben einen geringeren Ertrag an Korn als ein Stück von demselben Feld, welches mit diesen Salzen nicht gedüngt worden war; und in gleicher Weise zeigen die Versuche des General-Comité’s des landwirthschaftlichen Vereins in Bayern im Jahre 1857 (siehe S. 363), dass bei der Düngung eines Feldes mit kohlensaurem Ammoniak die Erträge an Gerstenkorn und Stroh eher ab- als zunahmen, und dass das schwefelsaure, phosphorsaure und salpetersaure Ammoniak den Ertrag nur um wenige Procente erhöhte; auf demselben Felde gab eine Quantität Guano, worin die nämliche Ammoniakmenge sich befand, einen dreimal höheren Ertrag an Korn und den doppelten Ertrag an Stroh als das ungedüngte Stück.

Es ist einleuchtend, dass die nächste Ursache der so gesteigerten Wirkung des Guano in dem eben erwähnten Felde in den Materien gesucht werden muss, welche das Ammoniak in dem Guano begleiteten, denn

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_371.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)