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gesammelt denkt, so würden diese Gase, wenn sie dieselbe Dichte wie an der Meeresfläche hätten, die Kohlensäure etwas mehr wie acht Fuss, das Ammoniakgas kaum zwei Linien Höhe haben; beide werden von der Pflanze der Luft entzogen und die Atmosphäre wird natürlich ärmer daran.

Wäre die ganze Oberfläche der Erde eine zusammenhängende Wiese, von welcher jährlich auf einem Hectar 100 Centner Heu geerntet werden könnten, so würde in 21 bis 22 Jahren die Atmosphäre aller darin enthaltenen Kohlensäure durch die Wiesenpflanzen beraubt sein, und alles Leben würde damit ein Ende haben; die Luft würde aufhören für die Pflanzen fruchtbar zu sein, d. h. eine unentbehrliche Lebensbedingung für ihre Entwickelung darzubieten. Wir wissen, dass für die ewige Dauer des organischen Lebens gesorgt ist; der Mensch und die Thiere leben von dem Pflanzenleib; alle organischen Wesen haben nur ein vorübergehendes, verhältnissmässig kurzes Bestehen; in dem Lebensprocess der Thiere verwandelt sich die Nahrung, die ihn unterhält, in das, was sie ursprünglich war; eine ganz gleiche Veränderung wie die Nahrung erleiden die Leiber aller Thiere und Pflanzen nach ihrem Tode; ihre verbrennlichen Elemente werden in Kohlensäure und Ammoniak zurückgeführt; beide sind ihrer Natur nach gasförmig und kehren in das Luftmeer zurück, wo sie zur Bildung und Entwickelung eines neuen Geschlechtes dienen.

Die Dauer des organischen Lebens ist, wie man sieht, in Beziehung auf die verbrennlichen Elemente, aus denen der Pflanzen- und Thierleib sich bildet, auf das Engste geknüpft an die Wiederkehr dieser Bedingungen; für diese hat der Schöpfer einen grossen Kreislauf eingerichtet, an welchem der Mensch sich betheiligen kann, der aber ohne sein Zuthun sich erhält.

Da, wo die Nahrung in der Form von Korn und Feldfrüchten auf dem Boden sich anhäuft und wächst, sind nahebei Menschen und Thiere, die sie verzehren und welche durch das zwingende Naturgesetz ihrer eigenen Erhaltung diese Nahrung immer wieder zurück in die ursprünglichen Nahrungselemente verwandeln.

Die Luft ruht nie, sie ist immer, auch wenn nicht der leiseste Wind weht, auf- oder absteigend in Bewegung; was sie an Nahrungsstoff verlor, empfängt sie sogleich von einem andern Orte aus immer fliessenden Quellen wieder.

In Beziehung auf die Aufnahme der Nahrung und die Richtung ihrer Verwendung besteht zwischen den dauernden Gewächsen und den einjährigen Pflanzen ein beachtungswerther Unterschied; denn wenn auch die Fähigkeit, Nahrung aufzunehmen und in Bestandtheile ihres Organismus übergehen zu machen, bei den verschiedenen Pflanzengattungen gleich sein mag, so ist doch der für ihre Lebenszwecke nöthige Bedarf, der Zeit nach, ungleich; um in der kürzeren Periode ihres Lebens ein Maximum von Entwickelung zu erreichen, bedarf die einjährige Pflanze mehr als die zweijährige, diese mehr als die dauernde Pflanze.

Die günstigen Bedingungen des Pflanzenlebens wirken gleich nützlich auf die perennirende Pflanze, allein ihre Entwickelung hängt nicht in gleichem Grade von zufälligen und vorübergehenden Witterungsverhältnissen ab; in ungünstigen wird ihr Wachsthum nur der Zeit nach

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_377.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)