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der Nützlichkeit einer Zufuhr von organischen und stickstoffreichen Materien ist leicht erkennbar.

Der Grund liegt offenbar darin, dass die Menge von stickstoffreichen Producten, welche auf einer gegebenen Fläche Land gewonnen werden kann, in einem bestimmten Verhältniss zur Blattoberfläche, oder im Allgemeinen zu den Organen der Aufsaugung steht und zu der Zeit, in welcher diese Organe thätig sind.

Von zwei Gewächsen von gleicher Vegetationszeit wird das eine mit der doppelten Blattoberfläche doppelt so viel Stickstoff aus der Luft aufnehmen als das andere mit einfacher Oberfläche.

Von zwei Pflanzen von gleicher Blattoberfläche und ungleicher Vegetationszeit wird unter sonst gleichen Verhältnissen diejenige einen höheren Ertrag liefern, welche bei gleicher Zufuhr länger aufnimmt, d. h. mehr Zeit zu dieser Aufnahme hat. Durch die Düngung seiner Felder mit stickstoffreichem Dünger übt der Landwirth einen unmittelbaren Einfluss auf Erträge derselben aus, und es steht die Wirkung dieser Dünger durch ihren Stickstoffgehalt im umgekehrten Verhältniss zu der aufsaugenden Blatt- und Wurzeloberfläche und zu der Vegetationszeit der gebauten Pflanzen.

Auf Pflanzen mit grosser Blattoberfläche (Erbsen, Rüben) oder längerer Vegetationszeit (Wiesenpflanzen, Klee) ist die Wirkung des Stickstoffs im Dünger geringer als auf Halmgewächse. Das Ammoniak ist als Nahrungsmittel für alle Gewächse nothwendig, aber seine Zufuhr im Dünger ist im landwirthschaftlichen Sinne nicht nützlich für alle Culturpflanzen.

Die Erfahrung hat den Landwirth gelehrt in dieser Beziehung einen Unterschied zu machen; er düngt in der Regel ein Kleefeld nicht mit stickstoffreichen Materien, weil der Ertrag an Klee in der Regel nicht merklich oder nur unbedeutend dadurch gesteigert wird, während durch Düngung seiner Kornfelder mit diesen Stoffen, die Erträge derselben zu seinem Vortheil zunehmen.

Der Landwirth benutzt darum die Futtergewächse als Mittel zur Erhöhung der Fruchtbarkeit seiner Kornfelder.

Die Futtergewächse, welche ohne stickstoffreichen Dünger gedeihen, sammeln aus dem Boden und verdichten aus der Atmosphäre in der Form von Blut- und Fleischbestandtheilen das durch diese Quellen zugeführte Ammoniak; indem er mit diesen Futtergewächsen, mit dem Kleeheu, den Rüben etc. sein Rindvieh, seine Schafe und Pferde ernährt, empfängt er in ihren festen und flüssigen Excrementen den Stickstoff des Futters in der Form von Ammoniak und stickstoffreichen Producten und damit einen Zuschuss von stickstoffreichem Dünger oder von Stickstoff, den er seinen Kornfeldern giebt.

Immer stammt der Stickstoff, womit der Landwirth seine Kornfelder düngt, aus der Atmosphäre; jedes Jahr führt er eine gewisse Menge Stickstoff in Schlachtvieh und Korn, in Käse oder Milch von seinem Gute aus; allein sein Betriebscapital an Stickstoff erhält und vermehrt sich, wenn er durch die Cultur von Futtergewächsen, im richtigen Verhältniss, den Ausfall zu ersetzen weiss.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_381.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)