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zu gewinnen und die vorhandenen Säfte, wenn sie nicht weiter zur Ausbildung neuer Blätter und Wurzelfasern in Anspruch genommen werden, dienen jetzt zur Bildung der Blüthe und Samen.

Mangel an Regen und damit an Zufuhr von Nahrung beschränkt die Blattbildung und befördert die Blüthezeit bei vielen Pflanzen. Trockne und kühle Witterung beschleunigt die Samenbildung. In warmen und feuchten Klimaten tragen die Cerealien im Sommer gesäet wenig oder keinen Samen und auf einem an Ammoniak armen Boden kommen die Wurzelgewächse weit leichter zum Blühen und Samentragen, als auf einem daran reichen.

Bei der Anwendung stickstoffreicher Dünger muss darum der Landwirth den Zweck klar vor Augen haben, den er erreichen will. Wie man einem Thier, wenn man es mästen und dabei gesund erhalten will, nicht mehr Futter täglich giebt als es verdauen kann, so sollte es bei der Pflanze sein.

Der Dünger muss immer eine solche Beschaffenheit haben, dass er der Pflanze die ihr angemessene Nahrung in jeder Periode ihres Wachsthums darbietet. Pflanzen von längerer Vegetationszeit haben deswegen keine oder nur eine geringere Zufuhr von stickstoffreichem Dünger nöthig als andere von kurzer; bei solchen, welche kräftig und rasch sich zu entwickeln vermögen und die kürzeste Vegetationszeit haben, sind die concentrirten Düngstoffe denen vorzuziehen, welche ihre wirksamen Bestandtheile nur langsam abgeben. In trocknen Gegenden gedeiht der Winterweizen nach Klee ohne weitere Düngung, während der im Frühling gesäete Weizen in der Regel von der Anwendung des peruanischen Guano oder des Chilisalpeters (top dressing) den grössten Vortheil zieht.

Die Aufeinanderfolge einer und derselben Pflanze auf dem nämlichen Felde macht dieses Feld, wenn es die chemischen Bedingungen ihres Wachsthums in reichlicher Menge enthält und die physikalischen Eigenschaften in richtiger Beschaffenheit besitzt, darum nicht ungeeignet für die Cultur dieser Pflanze; wenn die Pflanze auf einem solchen Felde nach dem dritten oder vierten Jahre nicht mehr gedeiht, so liegt offenbar der Grund nicht in einem Mangel an ihren Lebensbedingungen, von denen wir angenommen haben, dass sie vorhanden seien, sondern in der Anhäufung von Ursachen, welche ihre gesunde Entwickelung beeinträchtigen.

Alle Nahrungsmittel der Gewächse sind chemische Verbindungen, welche vermöge ihrer chemischen Eigenschaften gewisse Wirkungen auf die Substanz der Zellen und feinsten Gebilde der Blätter und Wurzeln ausüben, durch welche die Pflanzen ihre Nahrung sich aneignen; mit ihrer Quantität steigt ihre chemische Wirkung, und in einem gewissen Verhältniss den Pflanzen dargeboten, kränkeln diese und sterben zuletzt ab.

In einer Luft, welche über eine gewisse Grenze hinaus, wenn auch nur eine Spur freies Ammoniak enthält, sterben viele Pflanzen wie von einem Gifthauch getroffen; in gleicher Weise wirkt die Kohlensäure, wenn auch in minderem Grade; andere sterben in einem Boden, welcher durchfeuchtet ist von schwachen Lösungen freier Alkalien oder alkalischer Erden und Salze.

In der Natur finden wir die wunderbare Einrichtung getroffen, dass die Ackerkrume durch die chemischen und physikalischen Eigenschaften,

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_384.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)