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die ihr angehören, die chemischen Wirkungen der ernährenden Substanzen auf die aufgesaugten Wurzeln völlig aufhebt. Das freie Ammoniak, die freien Alkalien und alkalischen Erden werden von der Ackerkrume gebunden und verlieren mit ihrem Lösungsvermögen ihren den Pflanzen schädlichen chemischen Charakter, die Pflanze wählt aus, was zu ihrem Bestehen nothwendig ist, ohne irgend hieran gehindert zu sein durch fremde, ihre gedeihliche Entwickelung gefährdende Einflüsse.

Es ist klar, dass der Boden eine solche neutrale chemische Beschaffenheit als nächste Bedingung des gesunden Zustandes und der Verrichtungen der Pflanzenwurzeln besitzen muss. Für die verschiedenen Pflanzengattungen sind diese Bedingungen besonderer Art; die eine bedarf die Bestandtheile des frischen Quellwassers; die anderen gedeihen nur in Sümpfen, manche auf kohlenstoff- und säurereichen, wieder andere nur auf Feldern, welche Ueberfluss an alkalischen Erden besitzen.

Durch die Cultur selbst wird die Beschaffenheit des Bodens geändert, nicht nur in so fern in der Ernte demselben ein Theil der activen Materien genommen wird, sondern auch dadurch, dass er durch manche Gewächse, durch die Rückstände ihrer Wurzeln ein grösseres Verhältniss an kohlenstoff- und stickstoffreichen Stoffen empfängt. Die Bereicherung des Bodens an organischen Materien scheint für manche Gewächse eine Ursache der Krankheit und des Absterbens zu sein. Viele Rübengewächse, der Klee gedeihen auf einem solchen Feld nicht mehr, manche Gräser sind auf solchen Bodenarten nicht aufzubringen und sterben bald aus.

Man hat in England häufig wahrgenommen, dass die Turnipsrübe, wenn sie auf demselben Felde in allzukurzen Zwischenräumen gebaut wird, einer eigenthümlichen Krankheit verfällt, welche sich in einer ungewöhnlichen Wurzelbildung äussert; anstatt eines mehrere Pfunde schweren runden fleischigen und knolligen Wurzelstocks, von dem aus einzelne Faserwurzeln im Boden sich verbreiten, zertheilt sich die Pfahlwurzel in eine grosse Anzahl stenglige halbfingerdicke, harte, holzige Längenwurzeln (finger and toe). Diese Krankheit, welche in der Beschaffenheit des Bodens liegt, wird durch starke Düngung mit gebranntem Kalk beseitigt, aber es ist sicher, dass der Kalk nicht wirkt, weil im Boden daran Mangel war, denn wenn man ihn wie andere Dünger dem Felde zur Saatzeit giebt, so ist seine Zufuhr wirkungslos; seine Wirkung wird erst nach einem oder zwei Jahren wahrnehmbar. Der Kalk muss offenbar, um eine günstige Aenderung in der Beschaffenheit des Feldes auszuüben, bis zu einer gewissen Tiefe dringen, wozu eine beträchtliche Zeit gehört.

Durch einfache Düngung mit saurem phosphorsaurem Kalk und gänzlichem Ausschluss von organischem Dünger ist es Lawes gelungen, neun Jahre nach einander Turnips zu bauen und im neunten Jahre eine Ernte von 187 Ctr. Wurzeln zu erzielen.

Eine Ackerkrume, welche reich ist an organischen Stoffen, giebt an Regenwasser, das langsam durchsickert, eine Materie ab, welche das Wasser braun färbt und demselben zuweilen saure Reaction ertheilt. Mischt man eine solche mit etwas gebranntem Kalk, so verliert diese organische Substanz ihre Löslichkeit in Wasser und ihre Verbreitbarkeit im[1] Boden. Der Kalk zersetzt die organischen Substanzen, durch seine

  1. WS: korrigiert, im Original: m
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_385.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)