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Vierundvierzigster Brief.


Die Pflanzen, welche der Landwirth auf seinen Feldern baut, die Halmpflanzen, Rüben und Knollengewächse verhalten sich bezüglich der Aufnahme ihrer unverbrennlichen Nahrungsstoffe auf eine ganz eigenthümliche Weise. Während die Seegewächse ihren ganzen Bedarf an diesen Stoffen von dem umgebenden Medium in gelöstem Zustand empfangen, führt das Wasser, welches den fruchtbaren Ackerboden durchdringt, keinen der drei wichtigsten und wesentlichsten Nahrungsstoffe, keine Phosphorsäure, kein Kali, kein Ammoniak den Wurzeln der Landpflanzen zu. Die Ackerkrume giebt an das Wasser für sich keinen dieser Nahrungsstoffe ab, und ihr Uebergang in den Organismus muss demnach, unter Mitwirkung des Wassers, direct durch ihre Organe der Aufsaugung, die sich im Boden befinden, vermittelt werden. Die Wurzeln entziehen diese Stoffe den vom Wasser durchdrungenen Theilen der Ackerkrume, die sich in Berührung mit ihrer aufsaugenden Oberfläche befinden, und wenn die Pflanze zu ihrer vollen Entwickelung gelangen soll, so muss in diesen Theilen nothwendig der entsprechende ganze Bedarf vorhanden sein, denn von andern als den sie berührenden Theilen kann die Wurzel diese Stoffe nicht empfangen.

Wenn aber die Nahrung sich nicht der Wurzel zubewegt, so muss nothwendig die Wurzel der Nahrung nachgehen.

Der Boden kann natürlich an die Pflanze nicht mehr abgeben, als er selbst an Nahrungsstoffen enthält, und nicht die Summe von Nahrungsstoffen, die sich darin befindet, giebt ein Maass ab für seine Fruchtbarkeit, sondern diese hängt ab von den Theilen der Summe, die sich in den kleinsten Theilchen der Ackerkrume befinden; nur diese können mit der Wurzel in Berührung kommen.

Ein Knochenstück von 2 Loth (= 30,000 Milligramme) in einem Cubikfuss Erde hat keinen merklichen Einfluss auf dessen Fruchtbarkeit; sind aber diese 30,000 Milligrammen phosphorsaurer Kalk in allen Theilen der Erde gleichmässig vertheilt und verbreitet, so reichen sie hin für die Ernährung von 120 Weizenpflanzen; 10,000 Milligrammen Nahrungsstoff von 100 Quadratmillimeter Oberfläche sind in derselben Zeit nicht wirksamer als 10 Milligramme von derselben Oberfläche; von zwei Feldern von gleichem Gehalt an Nahrungsstoffen kann das eine sehr fruchtbar sein, während auf dem andern die Pflanze nicht gedeiht, wenn in dem ersten die Nahrung mehr und gleichmässiger als in dem andern vertheilt und verbreitet ist.

Der gewöhnliche Pflug bricht und wendet das Erdreich ohne es zu mischen, und verschiebt nur etwas den Ort, wo Pflanzen gewachsen sind. Der Spaten bricht, wendet und mischt.

Eine Kartoffel-, Rüben- oder Weizenpflanze wird an der Stelle, wo in einem vorhergehenden Jahre die nämliche Pflanze sich entwickelt hat, nicht mehr gedeihen können, wenn der Boden in den Theilen, mit welchen die Pflanzenwurzeln in Berührung waren, keinen Nahrungsstoff oder nur einen unzureichenden Rest enthält; die Wurzeln der folgenden

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_387.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)