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wäre, welches eine mittlere Ernte Weizenkorn geliefert hat, und dieses eben so viel oder mehr empfängt als es in dem Korn verloren hat, so kann dieses Weizenfeld in dieser Weise auf Kosten des Untergrundes eben so lange auf einem gleichbleibenden Zustand der Fruchtbarkeit erhalten werden, als derselbe fruchtbar für Rüben und Luzerne bleibt.

Da aber die Rüben und Luzerne zu ihrer Entwickelung eine sehr grosse Menge Bodenbestandtheile bedürfen, so ist der Untergrund um so früher erschöpft, je weniger er davon enthält, und da er in Wirklichkeit von der Ackerkrume nicht getrennt ist, sondern unterhalb derselben liegt, so kann er von allen den Bestandtheilen, die er verloren hat, kaum etwas zurück empfangen, weil die Ackerkrume den ihr davon zugeführten Theil zurückhält; nur dasjenige Kali, Ammoniak, die Phosphorsäure, Kieselsäure, welche die Ackerkrume nicht festhält und bindet, können in den Untergrund gelangen.

Durch die Cultur dieser tiefwurzelnden Gewächse kann mithin ein Ueberschuss von Nahrungsstoffen für alle Gewächse gewonnen werden, die ihre Nahrung vorzugsweise aus der Ackerkrume schöpfen; aber dieser Zufluss hat keine Dauer; in einer verhältnissmässig kurzen Zeit gedeihen diese Gewächse auf vielen Feldern nicht mehr, weil der Untergrund erschöpft und seine Fruchtbarkeit nur schwierig wiederherstellbar ist. Zunächst kommt die Luzerne nicht mehr fort, und die Rüben gedeihen nur in so fern, als sie ihren vollen Bedarf von der Ackerkrume empfangen können. Die Kartoffeln halten am längsten aus, weil sie ihre Nahrung der obersten Schichte der Ackerkrume entziehen.

Die Menge von Nahrung, welche eine Pflanze aus dem Boden empfängt, hängt nicht allein ab von der Quantität, die sich in den kleinsten Theilen der Ackerkrume befindet, sondern auch von der Anzahl der Organe, welche diese Nahrung dem Boden entziehen. Zwei Wurzeln holen doppelt so viel als eine Wurzel.

Von der ersten Bewurzelung hängt zum Theil die Ernte ab.

Ein Weizen- oder Gerstenkorn enthält in seiner eigenen Masse eine so grosse Menge von Nahrungsstoffen, dass sie in der ersten Zeit ihrer Entwickelung den Boden nicht bedürfen; einfach durchfeuchtet entwickeln die Samen dieser Nährpflanzen zehn oder mehr Würzelchen von 6 bis 8 Linien Länge; je schwerer das Korn ist, um so stärker und kräftiger ist die Bewurzelung; ohne dass das Samenkorn von dem Boden irgend etwas empfängt, breitet es rings umher seine Aufsaugungsorgane aus, die ihm aus einer verhältnissmässig grossen Entfernung Nahrung zuführen. Auf die sorgfältige Wahl des Saatkorns legt darum der Landwirth einen besondern Werth.

Samen, welche sehr klein sind, wie die des Tabaks, Mohns, Klees, bedürfen einer reicheren oder wohl zubereiteten Bodenoberfläche, wenn nicht der grösste Theil davon zu Grunde gehen soll, weil der Boden in der nächsten Nähe des Samens sogleich beim Keimen in Anspruch genommen wird, und Nahrung abgeben muss. Darum sind diese Pflanzen, wie der Landwirth sagt, schwieriger aufzubringen.

Die Samen der Nährpflanzen lassen sich einem Hühnerei vergleichen, welches alle zur Entwickelung des jungen Thieres nothwendigen Elemente

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_398.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)