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geworden wären. Wenn die Felder wirklich eine so grosse Menge von den Aschenbestandtheilen der Gewächse enthielten, dass sie durch die Cultur derselben daran nicht erschöpft werden könnten; wenn ihre Fruchtbarkeit abhängig wäre von der Gegenwart und ihre Erschöpfung von dem Mangel an ammoniak- oder stickstoffreichen Stoffen, so müsste man durch die Zufuhr derselben allein, also auch ohne Zufuhr von Aschenbestandtheilen, einem Feld eine unendliche Reihe von vollen Ernten abgewinnen können; es ist aber eine völlig erwiesene und unwiderlegliche Thatsache, dass ohne den Ersatz der in den Ernten hinweggenommenen Aschenbestandtheile die Erhaltung der Fruchtbarkeit unserer Felder unmöglich ist; es geht hieraus hervor, dass der Stallmist nicht durch seine verbrennlichen Bestandtheile wirkt, und dass diese, wenn ihnen überhaupt auf irgend einem Feld eine günstige Wirkung zukommt, diese günstige Wirkung nur haben, wenn und weil sie begleitet sind von den Aschenbestandtheilen der Gewächse, die man dem Feld in den vorhergehenden Ernten genommen hat und die ihm fehlen.

Ich glaube kaum, dass es unter den Lesern dieser Briefe einen einzigen Mann geben dürfte, der, im logischen Denken geübt, an der Wahrheit der Schlussfolgerungen zweifeln könnte, die sich an die chemische Analyse des Bodens, der Gewächse und des Stallmistes knüpfen; diese Analysen sind zu Tausenden in Deutschland, England, Frankreich von den verschiedensten Chemikern angestellt worden, und Alle stimmen in ihren Resultaten vollkommen überein, und wenn überhaupt die Wahrheit der Existenz einer Thatsache durch die Wage ermittelbar ist, so ist unter allen Thatsachen in dem ganzen Gebiet der Chemie keine fester gestellt als die: dass die Ackerkrume auch des fruchtbarsten Feldes eine im Verhältniss zu ihrer chemisch nicht wirksamen Masse ganz ausserordentlich geringe Menge von den Aschenbestandtheilen der Gewächse enthält, und es reicht vielleicht hin, um davon einen Begriff zu geben, wenn ich erwähne, dass den geschicktesten Chemikern vor dem Jahr 1834 das Kali als Bestandtheil der Ackerkrume, des Thons und der Kalksteine in ihren Analysen entgangen war, weil dessen Menge so gering ist, und dass vor der Entdeckung neuer und vorher unbekannter Reagentien der einfache Nachweis der Anwesenheit der Phosphorsäure (der quantitativen Bestimmung gar nicht zu gedenken) im Boden mit den allergrössten Schwierigkeiten verknüpft war. Die naturphilosophische Ansicht, dass das Kali, der Kalk, die Phosphorsäure Erzeugnisse des organischen Lebensprocesses oder der Lebenskraft seien, fand eben darin früher ihre Berechtigung.

Was die Fels- und Gebirgsarten betrifft, aus deren Zertrümmerung und darauf folgender Verwitterung die Ackererde entstanden ist, so weiss man, dass die Zusammensetzung derselben unendlich abweicht. Es giebt Felsarten, welche reich an Kali sind, und die, wie der Feldspath, keinen Kalk enthalten; in andern fehlt die Kieselsäure oder die Bittererde, oder sie enthalten, wie die Kalksteine, nur Spuren von Alkalien, nur ausnahmsweise ist es gelungen, in manchen Felsarten, die nicht zu den Verbreitetsten gehören, die Phosphorsäure durch die Analyse dem Gewicht nach zu bestimmen.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_406.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)