Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 421.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


von selbst zufliessen, und gewisse Bestandtheile des Bodens, welche sein Eigenthum sind, und die dazu gedient haben, aus den atmosphärischen Bestandtheilen den Pflanzenleib zu bilden, von dem sie selbst Bestandtheile ausmachen; indem er diese Feldfrüchte veräussert, raubt er dem Felde die Bedingungen ihrer Wiedererzeugung; eine solche Wirthschaft trägt mit Recht den Namen einer Raubwirthschaft.

Wenn alle die in den veräusserten Feldfrüchten dem Felde geraubten Bodenbestandtheile vollkommen dem Felde nach jedem Jahr oder nach jedem Umlauf wieder zugeführt worden wären, so würde das Feld seine Fruchtbarkeit auf das vollständigste bewahrt haben; der Gewinn des Landwirths wäre durch den Rückkauf der veräusserten Bodenbestandtheile kleiner geworden, allein dieser Gewinn wäre von ewiger Dauer gewesen.

Die Bodenbestandtheile sind sein Capital, die atmosphärischen Nahrungsstoffe die Zinsen seines Capitals: mit den einen erzeugt er die andern. In den Feldfrüchten veräussert er einen Theil seines Capitals und die Zinsen, in den Bodenbestandtheilen kehrt sein Capital auf das Feld, d. h. in seine Hand zurück.

Eine jede auf Raub gebaute Wirthschaft erzeugt Armuth. Das seiner Zeit an Gold und Silber reichste, Land Europa’s war das ärmste Land. Alles was die reichen Silberflotten aus Peru und Mexiko an edlen Metallen Spanien zuführten, zerrann in den Händen seiner Bewohner, weil sie die Kunst verlernten, oder nicht mehr übten, die für ihre Bedürfnisse im Weltverkehr in Kreislauf gesetzten Geldstücke in ihre Hand zurückkehren zu machen, weil sie nicht verstanden Werthe zu erzeugen, welche andere Nationen bedurften, in deren Besitz sich die ausgegebenen Geldstücke befanden. Nur in dieser Weise erhält sich der Reichthum.

Nicht das Feld an sich, sondern die zur Ernährung der Gewächse dienenden Bodenbestandtheile im Feld machen den Reichthum des Landwirths aus; durch sie erzeugt er die dem Menschengeschlecht unentbehrlichen Bedingungen zur Erhaltung seiner Temperatur und Arbeitskraft; die rationelle Cultur im Gegensatz zur Raubwirthschaft beruht auf dem Ersatz; durch die Wiederkehr der Bedingungen erhält der Landwirth die Fruchtbarkeit der Felder.

Die Wirkungen der Raubwirthschaft sind nirgends sichtbarer und augenfälliger als in Amerika, wo die ersten Colonisten in Canada, in dem Staat New-York, in Pensilvanien, Virginien, Maryland etc. Länderstrecken vorfanden, welche nach einmaligem Pflügen und Säen viele Jahre lang eine Reihe von Weizen- und Tabakernten lieferten, ohne dass der Landwirth nur daran zu denken brauchte, zu ersetzen was er dem Boden in dem Korn und den Tabaksblättern genommen[1].

  1. New-York. „Bei Berathung des vom Unterhause des Congresses angenommenen Gesetzentwurfs, wodurch den verschiedenen Staaten zur Gründung und Unterhaltung von landwirthschaftlichen und Gewerbschulen 6 Mill. Aecker Congresslandes geschenkt werden sollen, wies der Antragsteller, Herr Morrill von Vermont, in einer trefflichen Rede mittelst genauer statistischer Angaben nach, wie nothwendig diese Schulen für unsere Farmers sind, da sich dieselben in Bewirthschaftung ihres Bodens einem wahren Vandalismus hingäben. Er zeigte, dass wir in Bezug auf allgemeine und besonders die moderne wissenschaftliche Cultur weit hinter Europa zurück seien, und die traurigen Folgen davon sich schon jetzt auf eine erschreckende Weise zeigen. Die allgemeine Culturmethode in allen Theilen unseres Landes sei so mangelhaft, dass sie den Boden von Jahr zu Jahr ärmer mache; und wenn die natürliche Productionskraft des Bodens unablässig vermindert werde, so sei dies ein wahrer Diebstahl von Einzelnen auf Kosten des Nationalvermögens.“

    „Die folgende Tabelle zeigt einigermassen die Abnahme der Ernteerträgnisse in mehreren nördlichen Staaten während zehn Jahren. Die Zahl der producirten Bushel Weizen betrug von

    1840 1850
    Connecticut 87,000 41,000
    Massachusetts 157,923 31,211
    Rhode Island 3,098 49
    New-Hampshire 422,124 185,658
    Maine 848,166 269,259
    Vermont 495,800 535,955
    Total 2,014,111 1,090,132
    Kartoffeln.
    Connecticut 3,414,238 2,689,805
    Massachusetts 5,385,652 3,385,384
    Rhode Island 911,973 651,029
    New-Hampshire 6,206,606 4,304,919
    Maine 10,392,280 8,436,040
    Vermont 8,896,751 4,951,014
    Total 35,180,500 19,418,191

    In vielen südlichen Staaten ist die Abnahme der Production gleichfalls bezeichnend. Die Bushelzahl des producirten Weizens betrug in

    Tennessee 4,569,692 1,616,386
    Kentucky 4,803,162 2,142,822
    Georgia 1,801,830 1,088,534
    Alabama 838,052 294,044
    Total 12,012,726 6,144,796
    Diese Zahlen zeigen entscheidend, dass in sämmtlichen Theilen des Landes wesentliche Elemente im Boden erschöpft wurden, und dass seine Fruchtbarkeit stets abnimmt. Im Staat New-York sind 300,000 Schafe weniger als vor dreissig Jahren. Während eines Zeitraums von fünf Jahren betrug deren Abnahme fast 50 Procent, und die Anzahl der Pferde, Kühe und Schweine über 15 Procent. Im Jahre 1845 betrug die Weizenernte 13,391,770 Bushel; sie hat seitdem von Jahr zu Jahr abgenommen, bis sie im letzten Jahr nicht 6 Millionen überschritt.“

    „Der Wälschkornertrag eines Ackers war im Jahr 1844 im Durchschnitt 24 75/100, und im Jahr 1854 nur 21 2/100. Der durchschnittliche Ertrag der Weizenernte in Virginia und Nord-Carolina betrug während des Jahres 1850 nur 7 Bushel auf den Acker, und in Alabama nur 5 Bushel. Während die Baumwollernte in den neuen Ländereien von Texas und Arkansas durchschnittlich 700–750 Pfund auf den Acker bringt, ergiebt sich nur die Hälfte auf den ältern Feldern von Süd-Carolina. In Virginien lieferte im Jahr 1850 die Tabakernte 18 Mill. Pfund weniger als 1840. Keine Ernte hat sich so sehr die Fruchtbarkeit des Bodens aussaugend erwiesen als die Tabakspflanze, und in vielen Staaten liegen ganze Landstrecken wüst, auf denen der Anbau von Tabak, Korn und Weizen seit einem Jahrhundert fortgesetzt wurde. Es unterliegt keinem Zweifel, dass drei Viertel des urbaren Landes in der Union mehr oder weniger diesem Aussaugungsprocess unterworfen sind. Nach einer Abschätzung des Dr. Lee von Georgia vermindert sich die jährliche Einnahme des Bodens von 100 Mill. Acker Land in den Vereinigten Staaten um 10 Cents auf den Acker. Dieses würde 10 Mill. Dollars betragen und jährlich den Verlust eines Capitals von 166,666,666 Dollars bedingen – eine grössere Summe als unsere sämmtlichen Bundes- und Staatssteuern.“ „Auch in andern Zweigen des Ackerbaues werden durch den Mangel an Kenntnissen, welche nur landwirthschaftliche Schulen allgemein machen können, ungeheure Verluste herbeigeführt. Einer der tüchtigsten Farmer in Massachusetts schätzt den jährlichen Verlust seines Staats an Vieh aller Art, in der Milchwirthschaft etc. auf mehrere Millionen. Der Verlust, welchen der Staat New-York jährlich durch die allgemeine Unbekanntschaft mit der Thierarzneikunde an seinen 447,014 Pferden erleidet, wird auf nicht weniger als 2 Mill. Dollars angeschlagen.“

    „Diese statistischen Angaben konnten natürlich ihren Eindruck nicht verfehlen, und das Haus bewiligte gern den gestellten Antrag, landwirthschaftliche und Gewerb-Schulen ohne Verzug ins Leben zu rufen. Es wäre jammerschade, wenn der Senat nicht mehr vor seiner baldigen Vertagung Zeit fände, die Bill in Erwägung zu ziehen und anzunehmen.“

    (Allgem. Zeit. Nr. 175. Beil. v. 24. Juni 1858.)
    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt
Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_421.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)